Ernst Aigner

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Kommentare

Über das Haupt und das Oberhaupt und überhaupt über die Kirche
"Ja, dürfens denn das?"
Hatte Jesus eine Tochter?
Religion und Kritik
"Wir sind Papst" statt "Wir sind Kirche"?
Raus mit der Sprache!
Linker Jesus, rechte Kirche?
Sympathie für Krenn?
Wenn Geiz geil ist, dann ist Nächstenliebe dumm
Der Fall Krenn, "pastoraler Supergau" oder Chance?
Über die Zukunft der Vergangenheit in der Gegenwart
Hat Gott Humor?
"Was mir an euch gefällt"
Viel Lärm um Haderer
Eine dreiteilige Serie zum Nahostkonflikt
Mensch und Natur
"Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht!"
Frische Semmeln und die Ordnung der Wölfe
Alles heilig oder was?
A.E.I.O.U.
Drei Thesen zum Religionsunterricht
Kultstars, Krenn, und nackte Hintern
Vor der Kaserne, vor dem großen Tor ...
Kirchenkrise? Ja, bitte!

Über das Haupt und das Oberhaupt und überhaupt über die Kirche

(2010)

Ein offener Brief an Papst Benedikt XVI

Als einfachem Katholiken, der aus der Kirche nicht austreten will, "ihr und mir zum Trotz" (Cornelius Hell), und nicht zusehen will, wie sie zu einer klerikalen Sekte schrumpft, mache ich Ihnen einen Vorschlag: Trennen wir uns. Ihre Kirche und meine Kirche!
Nein, ich meine keine Kirchenspaltung, sondern schlage vor, es einmal eine Zeitlang allein zu versuchen. Ein paar Jahrzehnte etwa. Eine Scheidung auf katholisch quasi, von Tisch und Bett. Sorry, das Bett nehme ich wieder zurück, aber schon bei der Tischgemeinschaft dürfte der Vergleich passen. Seien wir doch ehrlich: Wir behindern einander, wir sind füreinander eine Belastung. Ich empfinde Sie als abgehoben und überheblich, Sie empfänden mich - würden Sie mich als Laien, als Geröll am Felsen Petri, überhaupt wahrnehmen - als ungehorsam und frech.
Mein Zugang zum Christentum ist einfach: Als Religionslehrer versuche ich, junge Leute für Jesus zu begeistern. Dazu gehört aber, sein Evangelium von autoritären und patriarchalen Verkrustungen zu befreien. Das ist spannend und gar nicht so schwer, denn etwas Besseres als die Liebe hat man noch nicht erfunden! Dabei fühle ich mich verbunden mit der großen Mehrheit der Laien und Priester an der Basis. Es soll sogar in Ihrem "romlinienförmigen" Episkopat Bischöfe geben, die so empfinden. Das ist "meine Kirche", das unvollkommene, suchende, wandernde Gottesvolk, stets dessen eingedenk, dass Jesus der Weinstock ist, wir aber leider oft nur die Flaschen!
Doch nun kommen Sie ins Spiel! Die Arbeit "meiner Kirche" wird von "Ihrer Kirche" konterkariert, solange sie für autoritäre Macht, Abwertung der Frau, neurotisierende Sexualmoral und Reformverweigerung steht. Gottlob ist Jesus auferstanden, sonst würde er wohl pausenlos im Grab rotieren, wenn er mitkriegt, was sich da alles auf ihn beruft! Okay, überall gibt es schrullige Sonderlinge, aber müssen in der Kirche genau jene Karriere machen, die Schwule für krank und Naturkatastrophen für eine Strafe Gottes halten? Wer trägt die Verantwortung für die Fehlbesetzungen, die in Österreich jährlich Zehntausende aus der Kirche treiben? Merkt denn niemand, wie entlarvend es ist, Christus als "Haupt der Kirche", den Papst aber als ihr "Oberhaupt" zu bezeichnen? Es nervt und zermürbt, dauernd von solchen Geschichten behindert zu werden, wenn man versucht, anderen als aufgeklärter, demokratischer Mensch das Christentum näher zu bringen.

Nun haben wir also (wieder einmal) eine Kirchenkrise, die Schaflosigkeit der Hirten nimmt dramatisch zu, täglich treten Menschen aus "Ihrer Kirche" aus, die in "meiner Kirche" gerne geblieben wären. Nützen wir doch die derzeitige Krise als Chance. Klären wir die Leute auf, dass die katholische Kirche de facto in zwei Varianten vorliegt. Lassen wir sie entscheiden, welche Richtung sie begeistert, und welche ihnen auf den Geist geht; für welche sie eintreten (und zahlen!) und aus welcher sie austreten möchten. Dann müssen Sie sich nicht mit Demokratisierung befassen, und mir können die antisemitischen Pius-Brüder gestohlen bleiben.
Noch besser wäre es freilich, Sie würden runtersteigen von Ihrem "Heiligen Stuhl" und ein neues Konzil einberufen, um die Versprechen des letzten endlich einzulösen, um gemeinsam die Frohe Botschaft bis zur Kenntlichkeit zu verändern. Ich befürchte freilich, dass Sie auf beide Angebote nicht einsteigen werden.
Wahrscheinlich werden sich Sympathisanten "meiner Kirche" auf die eigenen Beine stellen müssen, um die längst überfällige Strukturreform der Kirche anzupacken. Leicht wird das nicht, und viele gute Leute werden noch davonlaufen. Aber Ansätze, wie die Plattform "Wir sind Kirche", sind schon da. Eine Auferstehung der Kirche ist offenbar ohne Aufstand der Basis nicht zu haben. Wir werden sehen. Aber das Angebot steht!

Mit freundlichen Grüßen: Ernst Aigner, Freistadt

Der Text wurde bei der von Ferdinand Kaineder organisierten Wanderung auf den Alberfeldkogel im Rahmen einer "Bergpredigt" am Pfingstmontag 2010 verlesen.

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"Ja, dürfen's denn das?"

(2008)

Über Hierarchen und Laien und die Frage, ob Jesus heute taufen dürfte

Als 1848 in Wien Bürger, Studenten und Arbeiter auf die Straßen gingen, um gegen Bevormundung und Absolutismus zu protestieren, soll seine "apostolische Majestät", der völlig überforderte Kaiser Ferdinand I. den Staatskanzler Metternich gefragt haben: "Was mach'n denn all die viel'n Leut' da? Die san so laut!" Auf dessen Antwort "Die machen eine Revolution, Majestät!" kam die berühmte Gegenfrage: "Ja, dürfen's denn des?" Inzwischen sind hundertsechzig Jahre vergangen, die Spaltung der Gesellschaft in einen alles beherrschenden Adel und eine abhängige Masse ist in der westlichen Welt überwunden, die Demokratie überall akzeptiert.
Überall? Nein, in der katholischen Kirche haben autoritäre, mittelalterliche Strukturen überlebt, ja, Benedikt XVI. ist mit dem Programm angetreten, dem "Relativismus" der Zeit entgegenzutreten, was nichts anderes bedeutet, als zum alten Absolutismus zurückkehren zu wollen, zur längst überwunden geglaubten Kleruskirche, in der eine herrschende "sprechende" Kirche mächtiger Hirten einer passiven "hörenden" Kirche unmündiger Schafe gegenübersteht. Überforderte, sich auf Gott berufende Amtsträger werden nicht müde, "Ja, dürfen's denn das?" zu fragen, anstatt endlich einmal geistig in der Gegenwart anzukommen.
Predigt- und Taufverbot für LaienmitarbeiterInnen durch den Linzer Bischof sind nur der bislang letzte Akt in einer langen Reihe von Enttäuschungen für den Großteil der Gläubigen. In Linz war das nur lange nicht so direkt zu spüren, weil der liberale Bischof Maximilian die extremsten Grauslichkeiten abgefedert hat. Bischof Ludwig scheint nun entschlossen, seine Diözese wieder "romlinienförmig" an die Kandare zu nehmen, als ob man nicht schon lange genug sehen könnte, was Scha(r)fmacher wie Krenn, Groer & Co. aus dem Ruf der Kirche gemacht haben: Ein Synonym für Reformunfähigkeit, Heuchelei und Realitätsverweigerung. Wer kann es denn jungen Leuten heute verdenken, wenn sie sich von einer Gemeinschaft abwenden, die von ihnen nichts anderes erwartet als passiven Gehorsam und den Kirchenbeitrag? Wozu braucht man einen Heiligen Geist, wenn dann erst recht wieder ein paar Dutzend alte Herren alles allein entscheiden wie seinerzeit unter Kaiser Ferdinand?
Doch ist diese kleine herrschende Schicht wirklich "die Kirche"? Steht nicht einer abgehobenen Kirche der "Hierarchen" längst und immer schon eine Volkskirche gegenüber? Wird nicht eine überwältigende Mehrheit engagierter Laien und Priester an der Basis von einer kleinen "Oberschicht" gegängelt und demotiviert? Fürchtet die Kirchenleitung nicht deshalb die Demokratie wie der Teufel das Weihwasser, weil sich dann zeigen würde, dass nur eine kleine Minderheit hinter ihr steht? Ist dieser Kirchenkurs nicht ein Verrat am II. Vatikanum mit seinem Bild von Kirche als "wanderndem Gottesvolk" und noch mehr ein Verrat an dem, was Jesus gemeint hat?
Denn Jesus war Laie, ein Mann aus dem einfachen Volk (von griechisch "laós" = Volk). Ist nicht allein schon der abwertende Klang des Wortes "Laie" verräterisch? Als wäre das jemand aus der dummen Masse, im Gegensatz zu den Experten, die über dem Volk stehen? Welch eine Verrücktheit, zu meinen, auf diesen Jesus, der radikal wie kein anderer die Vision von einer geschwisterlichen Gemeinschaft vorgelebt hat, der jeder Herrschaft von Menschen über Menschen ein Ende bereiten wollte, könne sich heute eine "Hierarchie", eine "heilige Herrschaft" berufen!
Jesus dürfte heute nicht taufen, er war kein Priester und wollte auch keiner sein. Im Gegenteil: Er wurde verfolgt und beseitigt, weil sich die mächtige Priesterschaft von Jerusalem durch ihn gestört fühlte, weil seine Botschaft vom nahen Gott im Herzen eines jeden Menschen ihnen die Grundlage ihrer Macht entzog, weil ein Mensch, der sich tief in seinem Inneren geliebt und angenommen fühlt, für autoritäre Gehirnwäsche nicht mehr anfällig ist, weil jemand, der verstanden hat, dass Menschlichkeit und Liebe dasselbe ist wie Gottesdienst, für den ganzen Krempel aufwändiger - und für die "Gottesverwalter" einträglicher - Opferfeiern einfach nicht mehr zu gebrauchen ist. Wegen der Superfrommen, die den Anspruch erhoben, den Zugang zu Gott zu verwalten, musste Jesus weg, nicht wegen der einfachen Laien vom Land.
Und wenn nun erstmals in der Geschichte der katholischen Kirche immer mehr Laien - Männer und Frauen - den Wunsch und die Fähigkeit haben, zu predigen und zu taufen, dann ist das ein Zeichen der Hoffnung, dass es endlich gelingen könnte, die innere Zerrissenheit der Kirche zu überwinden. Dann wird niemand mehr bei einer kirchlichen Feier die Frage stellen, ob Laien so etwas leiten dürfen, weil der Gegensatz Laie - Priester seinen Sinn verloren haben wird in einer geschwisterlichen, demokratisch verfassten Solidargemeinschaft. Der Weg dorthin wird noch ein langer sein, mit Zivilcourage und Konfliktkultur haben Katholiken noch wenig Übung. Aber eines Tages wird man über die längst abgesetzten und überflüssig gewordenen skurrilen Bischöfe und machtgierigen Päpste genauso lachen können wie heute schon über den wunderlichen Kaiser Ferdinand I. und sein "Ja, dürfen's denn das?"

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Hatte Jesus eine Tochter?

(2006)

Anmerkungen zum Roman "Sakrileg"

"Sakrileg" (im Original "The DaVinci Code") bricht alle Rekorde! Der Krimi des US-Autors Dan Brown wurde 50 Millionen Mal verkauft, obwohl oder weil ein Vatikansprecher vor diesem "schändlichen Lügengebäude" gewarnt hat. Nun ist die Verfilmung in die Kinos gekommen, begleitet von einem gigantischen Medienrummel, Grund genug, der erstaunlichen Wirkung dieses Buches nachzugehen.
"Sakrileg" ist gewiss kein Meilenstein der Literatur, inhaltlich kann sich Dan Brown nicht mit einem Umberto Eco ("Der Name der Rose") messen, der ähnliche Themen ungleich versierter aufgreift. Aber für einen spannenden, ungewöhnlichen Krimi reicht es allemal. Brown hat das Interesse vieler Menschen an Religion erkannt und spielt instinktsicher mit der Provokation. Das Gefühl, immer tiefer in Geheimnisse vorzustoßen, die die Kirche über Jahrhunderte angeblich vertuscht hat, gibt der Lektüre einen abenteuerlichen Kick. Welches Geheimnis soll so gefährlich sein, dass es die Fundamente der Kirche erschüttern kann?
Eine erotische Beziehung zwischen Jesus und Maria Magdalena, der eine Tochter Sarah entsprungen sein soll! Die Kirche habe versucht, dieses Wissen auszulöschen, eine geheime Bruderschaft aber, der Geistesgrößen wie Leonardo da Vinci und Newton angehörten, hätte es bis auf den heutigen Tag verschlüsselt weitergegeben.
Diese Verschwörungstheorie ist frei erfunden, Brown verwertet aber geschickt Informationen, die den meisten Lesern unbekannt sind und vermittelt den Eindruck wissenschaftlicher Seriosität: Etwa, wenn er aus apokryphen (= verborgenen) Texten über Jesus zitiert, die nicht in die Bibel aufgenommen wurden. Im so genannten Philippusevangelium ist tatsächlich von einer innigen Beziehung Jesu zu Maria Magdalena die Rede. "Der Soter (Erlöser) liebte sie mehr als alle Jünger" (Vers 55b). Alles Weitere ist aber reine Spekulation, ein phantastischer und spannend zu lesender Husarenritt kreuz und quer durch den mythologischen Gemüsegarten.
Man wird dem Autor nicht gerecht, wenn man ihn abwertet, indem man ihm dabei zahlreiche sachliche Fehler nachweist, wie es diensteifrig von kirchlicher Seite geschieht. Brown hat keine wissenschaftliche Arbeit vorgelegt, sondern einen Roman, in dem sich aber ein religiöses Unbehagen vieler Menschen von heute spiegelt: an der Verdrängung des Weiblichen aus dem Bereich Gottes, an einer Kirche als undurchschaubarem Machtapparat, an dubiosen Machenschaften des elitären "Opus Dei", an der Tabuisierung der Sexualität. Man traut der Kirche offenbar eine Menge an Machtmissbrauch und Verfälschung zu. Wären wir innerkirchlich in der Lage, einmal offen über all diese Themen zu reden, könnten wir viel gelassener mit derlei Enthüllungen und Verschwörungstheorien umgehen.
Die Hauptprovokation des Buches nämlich, dass die Kirche "in die größte Krise ihrer 2000jährigen Geschichte stürzen" würde (S. 367), wenn herauskäme, dass Jesus nur ein normal-sterblicher Mensch war, geht theologisch ins Leere. Jesus verließ im Alter von gut dreißig Jahren recht abrupt seine Familie, um als Prediger und Heiler umherzuziehen. Er hatte einen offenen Umgang mit Frauen in seiner Gefolgschaft, Maria Magdalena ist ihm sicher nahe gestanden, aber Genaueres wissen wir nicht. Und selbst wenn Jesus Vater eines Kindes gewesen wäre, würde das am Kern seiner Botschaft nichts ändern. Diese besteht darin, dass er in Wort und Tat einen nahen, liebevollen Gott verkündete. Das Himmelreich bricht an, wenn wir Menschen aus dieser Innigkeit heraus zu leben wagten, was sich auch darin zeige, dass alle Machtverhältnisse zwischen Menschen aufgehoben sind: "Nennt niemanden Vater auf Erden, denn einer ist eurer Vater, der im Himmel ist!" (Mt 23,9)
Dementsprechend gleichgültig sind ihm seine Blutsverwandten, immerhin werden in Mk 6,3 vier Brüder namentlich (Jakobus, Joses, Judas, Simon) und Schwestern genannt. Doch Jesus nennt in Abgrenzung zu seiner Sippe, die ihn für verrückt hält, nur solche seine "Brüder und Schwestern, die den Willen Gottes tun" (Mk 3,35). Die These, dass Jesus biologisch weiterlebe über eine leibliche Tochter, ist im Licht seiner Botschaft ganz einfach gleichgültig. Der Glaube an die Göttlichkeit Jesu hängt nicht an Spekulationen über sein Sexualleben.
Diesem Irrtum unterliegt Dan Brown, aber auch all jene aufgeregten Kirchenstimmen, die durch "Sakrileg" die Fundamente der Kirche gefährdet sehen. Wenn sich Leute, die es besser wissen müssten, im Kern ihres Glaubens getroffen fühlen, dann geschieht es ihnen recht.
Für uns aber können wir zusammenfassen: Dass Jesus eine Tochter hatte, ist extrem unwahrscheinlich und für den christlichen Glauben nicht wirklich wichtig. Dass Jesus viele Schwestern und Brüder hatte, ist aber unbestritten. Ich hoffe, wir alle gehören dazu.

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Religion und Kritik

(2006)

Anmerkungen zu einer spannenden Beziehung

Religionskritik ist nicht nur im Islam eine riskante Sache. Gewiss, bei uns brennen keine Scheiterhaufen mehr, weil in einem langen Ringen - gegen die Kirche - die übrigens zutiefst christlichen Menschenrechte durchgesetzt wurden! Aber zu einem aufgeklärten Umgang mit Kritik fehlt uns noch immer einiges. Man denke nur an das Schicksal theologischer Dissidenten: Leute wie Hans Küng und Eugen Drewermann wurden mit Lehrverbot belegt, die Reformbewegung "Wir sind Kirche" von der Obrigkeit abgewürgt, sogar das Diskutieren über gewisse Fragen (Frauenordination!) wurde untersagt. Sollte die Kirche nicht ein Vorbild sein an Offenheit und Konfliktkultur, anstatt der profanen Welt hinterherzuhinken?
Kritik an Religion ist auch deshalb so heikel, weil es hier um tief sitzende Prägungen geht. Man kann sich ja schnell darauf einigen, die Verletzung "religiöser Gefühle" zu unterlassen, aber wer legt die Grenzen fest? Meinungsfreiheit gerät in Widerspruch zu Religionsfreiheit.
Setzt man den Schutz der Religion absolut, muss man dann schweigen, wenn im Namen Gottes zum "Heiligen Krieg" oder zum "Kreuzzug gegen die Achse des Bösen" aufgerufen wird? Darf man Zwangsheiraten, fundamentalistische Verdummung und esoterischen Wildwuchs nicht kritisieren, um nur ja keine "religiösen Gefühle" zu verletzen? Religion und Gott können ja auch missbraucht werden, um Menschen klein zu halten, um eigene Machtgelüste göttlich abzusichern.
Nein, gerade aus religiösen Gründen muss der Missbrauch von Religion immer wieder kritisiert werden, natürlich möglichst sachlich und konstruktiv, und nie gewaltsam. Eine starke Wahrheit muss Kritik aushalten, sonst ist sie nichts wert. Der oberste Maßstab für Christen ist aber - bei allem Respekt vor dem Lehramt - die Orientierung an Jesus selbst! Und Jesus war eben kein Kirchenrechtler oder geistlicher Würdenträger, sondern Religionskritiker! Seine Kritik am Opferpriestertum, an der Überheblichkeit der Superfrommen, ja an der Vorstellung von Herrschaft überhaupt, ist radikaler als selbst die Bücher von Marx, Freud & Co.: Denn er hat nicht nur Worte gemacht, sondern ist tatsächlich aus den Zwängen seiner Kultur ausgestiegen, hat religiöse Tabus und Gesetze gebrochen, um Einzelnen zu helfen, hat mit Verfemten und Außenseitern Feste gefeiert, hat zornig auf Rangstreitigkeiten seiner Jünger reagiert, und Kinder als Vorbilder hingestellt. Nein, dieser Jesus verträgt sich nicht mit Machtsystemen aller Art. Wäre er ein harmloses, sanftes Opferlamm gewesen, wie man ihn gerne darstellt, hätte man ihn nicht schon nach kaum zwei Jahren öffentlichen Wirkens als Gotteslästerer beseitigt. Der Glaube, dass seine Vision von Gott und Mensch dennoch gesiegt hat, ja gar nicht sterben kann, weil sie von Gott selber kommt, ist das zeitlose, auch heute noch explosive Fundament des Christentums.
Jesus ist eine zukünftige Gestalt, in vielen Fragen beginnen wir ihn erst langsam zu verstehen. "Für Gott sind 1000 Jahre wie ein Tag", heißt es. Wenn das stimmt, dann stehen wir am Anfang des dritten Tages. So zu tun, als müsste die Kirche den "Glaubensschatz" nur mehr verwalten und verteidigen, als dürfte man ihre jetzige autoritäre Gestalt nicht in Frage stellen, ist kleingläubige Phantasielosigkeit. Das Christentum hat gerade erst begonnen, die Ideale Jesu werden sich durchsetzen. Wenn die Kirche dabei eine wichtige Rolle spielen will, braucht sie den furchtlosen, offenen Dialog mit der heutigen Welt, und sehr viel Religionskritik!

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"Wir sind Papst" statt "Wir sind Kirche"?

(2005)

In letzter Zeit stand die Kirche wie nie zuvor im medialen Interesse der ganzen Welt. "Wir sind Papst", betitelte die Bild-Zeitung die Wahl eines deutschen Kardinals zum neuen Kirchenoberhaupt. Signalisiert das eine Aufwertung der Religion, wie manche meinten, sind die Leute gläubiger, gar "katholischer" geworden?
Ich glaube das nicht. Die Bild-Schlagzeile ist typisch für unser Medienzeitalter und drückt augenzwinkernd den Stolz unserer Nachbarn aus, dass nun "einer der ihren" Papst geworden ist. Es geht dabei nicht primär um Religion, sondern um die Pflege eines diffusen Wir-Gefühls. Wir Österreicher kennen das gut aus dem Bereich des Sports, wenn "wir" etwa beim Schifahren Weltcupsieger geworden sind. Mit Inhalten und Werten hat das wenig zu tun. Denn bei "Stars" geht es nicht sosehr um konkrete Personen, sondern um Projektionsflächen, auf die der "Durchschnittsmensch" Wünsche nach Größe, Berühmtheit und besonderen Fähigkeiten übertragen kann. Eine ganze Medienindustrie arbeitet daran, immer neue Idole und Vorbilder "herauszubringen", und hat offenbar jetzt auch die Kirche als Markt entdeckt. Man kann Sportler verehren ohne selber Sport zu treiben, man kann Päpste und Heilige verehren, ohne sich um persönliche Religiosität zu kümmern.
Der Papst als "pope-star"? Im Zeitalter der Medien ist das wohl kaum zu vermeiden und Popularität kann einem Papst als Symbol der Einheit nur Recht sein. Aber vor jedem Personenkult muss gewarnt werden! Päpste sind Menschen mit Stärken und Schwächen, wie auch Petrus, auf den sie sich gerne berufen, in der Bibel als sympathisch menschlicher, durchaus fehlbarer - und im Übrigen verheirateter - Mann beschrieben wird. Die Überfrachtung des Papstamtes mit übergroßer Machtfülle, bis hin zur "Unfehlbarkeit", ist bis heute ein Haupthindernis für eine ökumenische Wiedervereinigung der Kirchen.
Jesus hat die Gefahr des Starkults gesehen und sogar davor gewarnt, ihn selber allzu sehr zu verehren! "Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott!" (Mk 10,18) Er ruft in eine "Nachfolgegemeinschaft von radikal gleichgestellten Menschen" (E. Schüssler-Fiorenza), seine scharfe Kritik gegenüber Pharisäern und Schriftgelehrten ist eine Absage an die Vorstellung, manche würden von Amts wegen Gott näher stehen als andere. Die Kirche muss sich immer wieder fragen, ob sie in Struktur und Amtsverständnis diese Warnungen Jesu beherzigt. Eine Kirche als schwärmerisch jubelnder und "santo-subito"-rufender Papstverehrungsverein mag noch so tolle Einschaltquoten erzielen, als Nachfolgegemeinschaft Jesu wird sie nur bedingt gelten können.
In jedem Starkult steckt der Wunsch, sich selber klein und den Star groß zu machen, um auf ihn eigene Phantasien und Verantwortung abzuschieben. Oft stellen wir Vorbilder auf möglichst hohe Sockel, um uns die Mühe persönlicher Nachfolge zu ersparen. Jesus hat das durchschaut, und seinen Freunden immer wieder signalisiert: "Fallt nicht auf die Knie, sondern macht euch auf die Socken!" (E. Drewermann)
"Wir sind Kirche" trifft das Anliegen Jesu schon eher, wenn mit Kirche eine Gemeinschaft gemeint ist, die sich bemüht, die menschenfreundliche Botschaft Jesu zu bezeugen als humanen und solidarischen Gegenentwurf gegen alle menschenverachtenden Verhältnisse und Strukturen. Institutionen und Ämter sind dabei durchaus relativ wichtig, wichtiger aber als Hierarchien, Ränge und Titel ist allemal die befreiende Erfahrung: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." In diesem Sinn begrüßen wir unseren neuen Papst Benedikt XVI. in der Hoffnung, dass er ein echter Brückenbauer wird. Weil wir Kirche sind, kann er auf uns zählen. Er muss aber auch mit uns rechnen.

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Raus mit der Sprache!

(2005)

Mein Artikel "Der Fall Krenn, pastoraler Supergau oder Chance?" in der letzten Ausgabe hatte Folgen: Ich wurde von mehr Lesern als sonst angesprochen, um mir zu diesem Beitrag zu gratulieren. Ich habe aber auch von negativen Reaktionen erfahren. Offenbar hat der Text so manchen Leser irritiert, gestört oder sogar gegen mich aufgebracht. Auch über solche Reaktionen bin ich dankbar, sofern ich davon erfahre. Kritik ist wichtig, und vor Einseitigkeiten und Irrtümern ist niemand gefeit.
Das Problem ist aber, dass mir kritische oder ablehnende Haltungen nur - wenn überhaupt - hintenherum, gerüchteweise, zugetragen werden. Die Bereitschaft bzw. der Mut, in unserer Kirche über heiße Eisen offen zu diskutieren, ist noch immer sehr unterentwickelt. Die Kirche gleicht derzeit einem Mann, der sich chronisch krank fühlt, einen Arzt um Linderung seiner Leiden anfleht, und dazusagt: "Aber ausziehen tu ich mich nicht!"
Noch immer sind viele der Meinung, religiöse Menschen würden sich dadurch auszeichnen, dass sie braver, duldsamer und konfliktscheuer sind als andere. So hat man lange genug "katholisch" erzogen. Kein Wunder, dass aus der begeisternden Botschaft Jesu in den Augen vieler Zeitgenossen eine langweilige Pflichtübung geworden ist.
Ich sehe keine Alternative zur Bereitschaft, die Ursachen der Kirchenkrise endlich einmal wahrzunehmen und offen zu diskutieren. Daher mein Appell an alle Leser, die mit manchem, was ich schreibe, nicht einverstanden sind: Kritisieren Sie mich, reden Sie mit mir, schreiben Sie Briefe oder Mails, zeigen Sie mir Fehler, Widersprüche oder Einseitigkeiten in meiner Argumentation auf. Jemand wie ich, der austeilt, muss auch einstecken können, vorausgesetzt, die Kritik ist sachlich. Ich habe kein Interesse, jemanden zu beleidigen oder einen Disput gegen den Willen eines Kontrahenten in die Öffentlichkeit zu bringen. Wir von "Miteinander" sind gerne auch bereit, Gastbeiträge oder Leserbriefe zu veröffentlichen.
Öffentlich zur Wehr setzen würde ich mich allerdings dann, wenn jemand versuchte, "hintenherum" mit Machtspielen und Intrigen, etwa über Kontakte zu übergeordneten kirchlichen Kreisen, auf mich oder die Pfarre Druck auszuüben. Diese Haltung wäre nicht nur unfair und feige, sondern sie würde genau jenes Kirchensystem repräsentieren, das uns in die Krise geführt hat: Eine autoritäre Machtkirche, in der man Probleme verleugnet und verdrängt, anstatt offen miteinander zu reden und um die Wahrheit zu ringen. Die Bergpredigt ist hier ganz klar: "Euer Ja sei ein Ja. Euer Nein sei ein Nein. Alles andere ist von Übel!"
Also: Raus mit der Sprache!

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Linker Jesus, rechte Kirche?

(2005)

Über Sinn und Unsinn politischer Etikettierungen

lichtung

manche meinen
lechts und rinks
könne man nicht
velwechsern
werch ein illtum


Im Gedicht "lichtung" nahm Ernst Jandl den gedankenlosen Gebrauch der politischen Begriffe "links" und "rechts" aufs Korn. Solange solche Etikettierungen diffus bleiben, besteht die Gefahr, dass sie nicht zum besseren Verständnis, sondern zur Verstärkung von Vorurteilen dienen. Dabei lässt sich ihr Sinn ganz sachlich klären. Man muss nur gut 200 Jahre zurückblicken:
Während der Französischen Revolution meinten die Anhänger der alten Ordnung, Menschen würden mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten geboren, je nach ihrem Stand (Adel, Bürger, Bauern). Sie saßen im Pariser Parlament rechts. Jene, die von einer grundsätzlichen Gleichheit ausgingen und gegen Vorrechte des Adels kämpften, saßen links. "Rechts" bedeutet seither die Verteidigung gesellschaftlicher Ungleichheit, "links" das Eintreten für mehr Gleichheit. So einfach ist das im Prinzip. Damals ausgeprägt "linke Ideale" wie Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit oder Parteiendemokratie haben sich weltweit durchgesetzt. Gemäß diversen Menschenrechtskatalogen darf niemand mehr auf Grund von Herkunft, Rasse, Nation, Geschlecht, Religion etc. benachteiligt werden. Also alles in bester Ordnung?

Leider nicht. Oft stehen diese Rechte bloß auf dem Papier. Es gibt noch immer Rassismus, religiösen Fundamentalismus, patriarchale Abwertung der Frau, etc. Besonders schlimm ist die wirtschaftliche Ausbeutung armer Länder durch mächtige Staaten und Konzerne des Nordens. Dagegen aufzutreten ist nicht das Hobby böser "Linker", sondern sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, insbesondere für Christen. Wer Menschen abwertend als "Linke" beschimpft, die sich in Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, in Vereinigungen wie ATTAC oder Amnesty engagieren, der weiß offenbar nicht, was er tut.

Gewiss: Auch das Streben nach Gleichheit löst nicht alle Probleme. Es gibt Bereiche, in denen Menschen nicht gleich sind und nicht gleich behandelt werden wollen. Würde ein Lehrer bei einer Schularbeit allen Schülern die gleiche Note geben, würden Fleißige und Faule den gleichen Lohn bekommen, wäre das ungerecht. Bei aller Gleichheit wollen Menschen auch die Freiheit haben, ihre Fähigkeiten, ihre Individualität zu entfalten. Was passiert, wenn man Gleichheit mit Gleichmacherei verwechselt und die Freiheit des Einzelnen den Interessen des Kollektivs opfert, zeigte das Scheitern der kommunistischen Planwirtschaft. Umgekehrt untergräbt ein System, das ungebremst auf das Ausleben der Freiheit setzt, die Gleichheit, denn die Stärkeren werden die Schwächeren verdrängen und unterdrücken. "Der Westen hat die Freiheit verraten, der Osten die Gleichheit", schrieb F. Dürrenmatt in der Zeit des Kalten Krieges.

Man sieht: Die Begriffe "links" und "rechts" haben nur dann Sinn, wenn man dazu sagt, in welcher Frage man für mehr Gleichheit oder Ungleichheit eintritt. In einer Welt, in der die Güter dieser Erde extrem ungleich verteilt sind, wird man in Fragen der Wirtschaft "links" sein müssen, wenn man mehr Gerechtigkeit will. In einem Land, in dem der Staat sich viel zu stark in Fragen einmischt, die besser der Einzelne lösen kann, wird man "rechts" sein müssen, um mehr Freiraum zu schaffen. Auf das richtige Gleichgewicht zwischen Freiheit und Gleichheit kommt es an.

Wenn man sich die Evangelien in diesem Zusammenhang liest, wird man mit Verblüffung feststellen, wie radikal Jesus für eine fundamentale Gleichheit aller Menschen vor Gott eintrat. Wenig konnte ihn so sehr erzürnen, wie die Meinung, jemand stünde (vor Gott) besser da als ein anderer. Ganz bewusst hat er sich gerade den Schwachen und Außenseitern zugewendet, um zu demonstrieren, dass wir aufhören sollen, in Kategorien der Macht zu denken, sondern wie Schwestern und Brüder, weil wir einen "Vater unser im Himmel" haben.
In der Kirche, die seine Botschaft weiter trug, haben sich bald wieder alte Strukturen der Ungleichheit eingeschlichen. Die Spaltung der Kirche in eine herrschende, klerikale, meist adelige Oberschicht ("sprechende Kirche") und die Masse der Laien ("hörende Kirche") ist bis heute nicht ganz überwunden, die Rede vom "linken Jesus und rechter Kirche" noch nicht überholt. Noch immer werden jene kritisch beargwöhnt und nicht selten als "Linke" diffamiert, die nach Wegen suchen, zu der von Jesus vorgelebten Gleichheit zurück zu kehren. Sie werden sich nicht beirren lassen, denn für sie gilt der Satz: "Christen stehen weder rechts noch links. Sie gehen!"

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Sympathie für Krenn?

(2004)

Männerfreundschaften im Vergleich

Ich gehörte 1991 zu jenen, die gegen die Bischofsweihe Krenns protestiert haben. Man könnte sich nun bestätigt fühlen und meinen, mit einem Rücktritt Krenns sei die Sache erledigt. Dem ist nicht so. Es muss über das ganze Machtsystem diskutiert werden, in dem ein Kurt Krenn gegen den Willen einer großen Mehrheit Karriere machen kann. Ob aus dem Fall Krenn ein Fall Krenns wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. In einer der nächsten Ausgaben wird ausführlich darüber zu lesen sein. Diesmal geht es um einen Vergleich dieses Kirchenproblems mit einem anderen heißen Sommerthema.

Der Zungenkuss im St. Pöltener Priesterseminar ist in aller Munde, die Unhaltbarkeit der kirchlichen Doppelmoral "in sexualibus" pfeifen die Spatzen von den Dächern, mit der Kritik am Verhalten von Bischof Krenn halten nicht einmal mehr romlinienförmige Mitbrüder hinter dem Berg. Das Volk hat sein Sommerthema, die leidgeprüfte Kirchenbasis einen weiteren Beweis des dringenden Reformbedarfs ihrer Heilsanstalt, der Stammtisch jede Menge Witznachschub der beliebten Sparte schlüpfrig-klerikal. Aber, Hand aufs Herz, für das ganz konkrete Leben der Mehrheit im Land hat diese Farce keine großen Auswirkungen.

Ganz anders ist das beim zweiten "Aufreger" dieses Sommers, dem lauten Nachdenken von Spitzenmanagern über eine Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, der unser Wirtschaftsminister umgehend etwas abgewinnen konnte. Beim Abgewinnen kennen sich diese Herren nämlich gut aus. Hier sind Männerfreundschaften am Werk, die schon lange darin geübt sind, in das Leben von uns allen kräftig hineinzugrapschen.

Laut österreichischem Wörterbuch heißt obszön "unanständig" und "schamlos".
Es ist obszön, wenn Politiker den Druck auf die Bevölkerung erhöhen und zugleich dem rasch wachsenden privaten Reichtum Privilegien gewähren und Schlupflöcher offen halten.
Es ist obszön, wenn Politiker zusehen, wie rund um den Globus durch Sozialabbau und Steuerdumping eine zerstörerische Abwärtsspirale in Gang gehalten wird und dann so tun, als wären das alles Naturgesetze.
Es ist obszön, die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes auszunützen, ganz nach dem Motto: Wenn ihr euch nicht stärker ausbeuten lasst, gehen wir in ein Land, in dem sich die Leute noch mieser behandeln lassen (müssen).
Arbeitszeitverlängerung bzw. Lohnkürzung war in unseren Breiten bisher tabu. Auch dieser Damm ist jetzt gebrochen. Wie heißt es so schön in der Fachsprache: Das Arbeit suchende Humankapital ist zu größeren Opfern bereit, wenn der soziale Absturz droht.

In den Spitzen der neoliberalen Finanzwelt gibt es Männerfreundschaft auf höchstem Niveau, wenigstens finanziell. 57 Millionen Euro an Sonderabfertigungen erhielten erfolglose Mannesmann-Manager in Deutschland von ihrem Aufsichtsrat zugeschanzt, soviel wie 10.000 Sozialhilfeempfänger für ein Jahr. Dagegen sind die Streiche der klerikalen Neurotiker in St. Pölten wirklich nur Bubendummheiten. Der arme Krenn bangt um seinen Job, er dreht und windet sich, wie der Wurm am Haken. Die smarten, eloquenten Weltverteiler hingegen leben ihre Obszönität offen aus, ganz ohne Unrechtsbewusstsein und beschlagnahmte Festplatten. Sie haben sich ihre Spitzengagen und fetten Dividenden gesichert und strahlen in die Kameras um die Wette, weil sie wissen: Aus unserer Kirche kann niemand austreten.

Dagegen wirkt der stammelnde, schwitzende, dicke Bischof aus St. Pölten fast schon wieder sympathisch.

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Wenn Geiz geil ist, dann ist Nächstenliebe dumm

(2004)

Über die heimtückische Botschaft der Vater-Sohn-Werbespots

Wir kennen sie alle, die netten Werbespots mit Vater und Sohn. Sie dürften sehr erfolgreich sein, sonst hätte man nicht schon eine ganze Serie produziert. Angefangen hat es mit der Szene in der Konditorei: Sohn isst Torte, Vater möchte ein kleines Stück davon. Er bittet, er fleht. Der Sohn bleibt stur und isst das ganze Stück allein. Dann kam der Spot, in dem der Sohn nächtens in das Bett des Vaters steigt, aber einen derart großen Teddy mitbringt, dass der gutmütige Vater auf der anderen Seite hinaus fällt. Dann folgte die Szene an der Tankstelle, wo der Senior dem Junior ein Eis spendiert, vor Freude über dessen Hilfsbereitschaft, bis er merkt, dass der Sohn nur "seine" Hälfte der Windschutzscheibe geputzt hat. Fortsetzung folgt.
Die Geschichten sind gut gespielt, die Darsteller - vermutlich auch im "wirklichen Leben" Vater und Sohn - haben sympathische, originelle Gesichter. Ja, wird sich so mancher Zuseher denken, so weit kann es kommen. Immer anspruchsvoller und egoistischer werden unsere Kinder, diese "Gfraster". Aber was soll man machen? Und schon hat die Gehirnwäsche funktioniert, und man ist bereit, die heimtückische Botschaft zu schlucken: "Verlassen Sie sich lieber nicht auf die Großzügigkeit der nächsten Generation. Sorgen Sie selber vor, indem Sie bei der Versicherung XY ihr Geld privat anlegen."
Die Methode wirkt. Innerhalb eines Jahres wurden in Österreich fast 300.000 Verträge über private Pensionsversicherungen abgeschlossen. Allen geht es dann am besten, lautet das neoliberale Dogma, wenn jeder möglichst nur an sich selber denkt. Der Mensch ist von Natur aus Egoist, das Leben ein Kampf. Wer nicht untergehen will, muss eben mitspielen im Verdrängungswettbewerb. Geiz ist geil, Nächstenliebe ist dumm.
Der Haken an der Sache ist nur, dass genau das Gegenteil wahr ist! Die beste Absicherung für die Pension ist der Zusammenhalt der Generationen, sind funktionierende Sozialsysteme. Wenn Kinder und Jugendliche die Erfahrung machen, dass die Gesellschaft sie gerecht und großzügig behandelt, Arbeit und Wohlstand mit ihnen teilt, dann werden auch sie die alten Menschen gerecht und großzügig behandeln. Was nützt alten Menschen das gesparte Geld für die Pension, wenn ihnen egoistisch gedrillte nächste Generationen nichts davon abgeben? Egoismus als Lebensprinzip funktioniert weder privat noch politisch, widerspricht jeglicher Erfahrung und ist ein Hohn für jene, die auf die Hilfe anderer angewiesen sind: Kinder, Pensionisten, Kranke, Notleidende etc.
Lassen wir uns als Gesellschaft nicht auseinander dividieren. Sorgen wir dafür, dass möglichst alle Arbeit finden, dass es ein gerechtes Steuersystem gibt, dass die Gewinne einer ständig wachsenden Wirtschaft auch allen zugute kommen.
Dem gutmütigen Vater aber sollte man sagen: Seien Sie ruhig einmal streng zu Ihrem Sohn. Von wem hat er denn die Torte, den Teddy und das Eis? Wenn Sie sich ausnützen lassen, tun Sie ihm nichts Gutes, sondern machen einen undankbaren Egoisten mit Riesenansprüchen aus ihm, der erst recht nicht glücklich sein wird. Reden Sie mit ihm ein ernstes Wort. Er ist ja ein kluges Bürschchen. Dann wird er schnell kapieren, dass Geiz nicht geil ist, aber Teilen und Nächstenliebe die intelligentesten und sichersten Formen einer Vorsorge für die Zukunft sind.


Anmerkung:
Im Rahmen der ATTAC-Sommerakademie 2004 nahm ich an einem Workshop für das Schreiben von Kommentaren teil. Obiger Artikel wurde dort sehr positiv aufgenommen. Ich wurde ersucht, für ATTAC einen Text zu schreiben, den man in die Online-Ausgabe des "Standard" bringen könnte. Mit "Sympathie für Krenn" ist mir das dann im August 2004 gelungen. Ich verwendete den Text dann auch für die Pfarrzeitung.

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Der Fall Krenn, "pastoraler Supergau" oder Chance?

(2004)


Schade um Bischof Krenn! Man konnte von ihm wie von keinem anderen lernen, wie Kirche heute nicht mehr funktionieren kann. Eine ehrliche Analyse des "pastoralen Supergaues" in St. Pölten böte jetzt die Chance, die Wurzeln der Dauerkrise freizulegen. Zu befürchten ist aber, dass man - wie schon im Fall Groer und beim "Dialog für Österreich" - die eigentlichen Probleme wieder verschleppt und zerredet. Die theologischen Nebelwerfer sind bereits am Werk.
Es wäre ungerecht, Krenn persönlich als Ursache der Krise anzusehen. In Frage steht vielmehr jenes Machtsystem, dessen skurrilster Vertreter Krenn war, jener Papst, der Leute wie Krenn, Groer, Eder, Küng oder Laun gegen breiten Widerstand in Leitungsämter berufen hat, jene Glaubens- und Sittenlehre, die immer noch autoritär vorgeschrieben wird, obwohl sie sich weit von den Menschen entfernt hat und sich in entscheidenden Fragen biblisch nicht begründen lässt.
In konservativen Kreisen galt Krenn als die Schlüsselfigur einer Kehrtwende zurück hinter das II. Vaticanum. Durch seine guten Verbindungen nach Rom konnte er die Rolle eines "kirchlichen Elefanten im Porzellanladen" spielen, seine Kollegen austricksen und Kardinal Schönborn öffentlich das "Maul halten" empfehlen, ohne etwas befürchten zu müssen. Auch dann, wenn ihre Lehren selbst den Hardlinern in Rom zu verrückt erschienen, förderte er dubiose, vorkonziliare Gruppen. Er deckte den krankhaften Dämonenglauben des Engelwerks ebenso wie längst widerlegte antisemitische Ritualmordlegenden. Sein Priesterseminar wurde zur führenden Zuchtanstalt von Klerikalneurosen. Weil Krenn ein gewiefter Intrigant war, galt er den theologisch meist unbedarften Medien im Land als "intelligent", ungeachtet der Tatsache, dass er mental in unserer pluralistischen, demokratischen Welt nie angekommen ist, dass er weder von der wesentlichen Theologie des 20. Jhdts. etwas verstanden hat noch etwas verstehen wollte. Auch sein Rücktritt erfolgte ohne jedes Unrechtsbewusstsein, sondern aus Gehorsam gegenüber dem Papst, wie es sich für einen autoritären Charakter geziemt.
Für die Medien war er ein Star, der zum Gaudium der Seitenblicke-Gesellschaft den bischöflichen Adabei, das religiöse Fossil, den Kirchenkasperl machte. Er hatte hohen Unterhaltungswert gerade bei jenen, denen es nicht um Religion, sondern um Quoten ging, eben weil er sich in seiner blinden Eitelkeit anmaßte, als letzter Hort des wahren Glaubens zu agieren. Der großen Mehrheit der Priester und Laien an der Basis aber, die täglich um eine zeitgemäße Umsetzung des Christentums ringen, ist bald der Spaß vergangen. Krenn hat ein Bild von Kirche verbreitet, das geeignet war, ihre Arbeit zu untergraben und lächerlich zu machen.
Sein Rücktritt wird nun als Erleichterung empfunden, vor allem in seiner Diözese. Altbischof Krenn als Person ist zu wünschen, dass er mit all seiner Widersprüchlichkeit einen ehrenvollen Lebensabend verbringen und Seelenfrieden finden kann. Abschließende Urteile stehen uns nicht zu. Die Kirche aber sollte die Lehren aus dem "Fall Krenn" ziehen und die aufgebrochenen Fragen mutig anpacken! Einige dieser Fragen seien kurz skizziert:
* Kann sich eine diktatorische, monarchistische Kleruskirche wirklich auf den Revolutionär aus Nazaret berufen, oder wäre nicht längst eine "weitgehende Demokratisierung des kirchlichen Selbstvollzugs" (Karl Rahner, Kleines Theologisches Wörterbuch, 1975!) der eigenen Botschaft angemessener?
* Müsste eine Kirche Christi nicht eine Vorkämpferin von Gleichheit, Gerechtigkeit und Emanzipation sein, anstatt, wie etwa bei der Rolle der Frau, der Gesellschaft immer weiter hinterherzuhinken?
* Wäre es nicht an der Zeit, mit Blick auf moderne Humanwissenschaften den Schaden aufzuarbeiten, den die uralte Verteufelung der Erotik angerichtet hat? Wie glaubwürdig ist eine Kirche, die ständig von Liebe spricht, wenn sie eine Körper- und Frauen verachtende Tradition weiterschleppt, wenn sie die Liebe zu Gott gegen die Liebe zu Menschen ausspielt, und lieber Heuchelei, Doppelmoral und eine endlose Reihe von Sexskandalen in Kauf nimmt als überholte Moralprinzipien in Frage zu stellen?

In diesen Kirchenzeiten halte ich viel vom Spruch "Auftreten, nicht austreten!" Jetzt wäre wieder einmal eine gute Gelegenheit dazu, das Christentum "bis zur Kenntlichkeit zu verändern" (Ernst Bloch). Dann, ja dann wäre die Ära Krenn - allerdings nicht ganz in seinem Sinn - für seine Kirche doch noch ein Segen gewesen.

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Über die Zukunft der Vergangenheit in der Gegenwart

(2003)

Zeitgemäße Betrachtungen über die Zeit

Wir alle verwenden gerne und oft das Wörtchen "Zeit". Wir reden von Arbeits- und Freizeit, den Jahreszeiten, der "guten alten Zeit", der Bestzeit und bald wieder von der "stillsten Zeit im Jahr". Wenn wir aber überlegen, was das eigentlich ist, die Zeit, dann geraten wir ins Stocken. "Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich's, will ich's aber einem Fragenden erklären, weiß ich's nicht", gestand der Hl. Augustinus.
Ich beobachte das Weiterrücken des Zeigers meiner Uhr und ertappe mich bei der Frage, wo denn die gerade verflossene Sekunde hingekommen ist, oder wo die nächste Sekunde herkommt. Aus der Uhr wohl nicht. Uhren messen ja nicht die Zeit an sich, sondern innerhalb der Zeit das gleichmäßige Zurücklegen einer Strecke. In der Uhr wird die Zeit "zur Strecke gebracht" (M. Heidegger). Kommt Zeit aus dem "Nichts", und wenn ja, was ist das für ein "Nichts", aus dem etwas kommen kann?
Die meisten denken sich "Zeit" ungefähr so, dass sie aus der Zukunft auf uns zukommt und in der Vergangenheit verschwindet. Je mehr man sie festhalten will, desto schneller entgleitet sie. Je schneller und gieriger unser Leben wird, desto weniger erleben wir wirklich. Wir können nichts mehr erwarten, wir verplanen jetzt schon das Lebensglück der nächsten Generationen, um desillusioniert festzustellen, dass die Zukunft auch nicht mehr das ist, was sie einmal war. Eine Sekunde frisst die nächste auf, die Zukunft verschwindet unwiederbringlich in der Vergangenheit. Diese Vorstellung von Zeit nennt man die "chronologische", benannt nach dem griechischen Gott Kronos, der seine eignen Kinder auffraß.
Aber ist dieses maschinenmäßige Ablaufen gleichförmiger Vorgänge wirklich unsere tiefste Erfahrung von Zeit? Spüren wir nicht alle, dass alles Zählen und Messen nur an der Oberfläche bleibt? Wie verschieden lang können zehn Minuten sein: Sie sind viel zu kurz, wenn wir von einem lieben Menschen Abschied nehmen müssen, aber dauern wie eine Ewigkeit, wenn sich der Zahnarzt in unserem Mund zu schaffen macht. Wir kennen alle Erfahrungen, in denen die Zeit still zu stehen scheint, in denen alles gleichzeitig geschieht, in denen sich uralte Sehnsüchte erfüllen, in denen im Augenblick - im Blick der Augen - Ewigkeit aufleuchtet. Zeigt sich hier nicht eine andere, tiefere Wahrnehmung? Die Griechen kannten eine "kairologische Zeit", benannt nach Kairos, dem "erfüllten Augenblick". Hier ist Zeit nicht gleich Zeit, hier hat jede Stunde eine eigene Qualität, hier versteht man das Wort des Predigers, dass alles "seine Stunde" hat. Diese Zeit kann gar nicht vergehen, darin ist es immer "jetzt", und sie wird immer mehr.
Was hindert uns daran, uns immer wieder eine Aus-Zeit zu nehmen, damit die "Seele nachkommen kann"? Viele Menschen leiden am rasenden Tempo des Lebens und spüren, dass sie in ihrer Tiefe die Lebenszeit ungelebt verstreichen lassen. "Wir können in der allgemeinen Hast nicht mehr verharren, um einen Moment lang unbeweglich diese Hast zu betrachten. Wir sehen weder die Nähe noch die Weite unserer Welt. Wir haben das Vergnügen verloren, sie zu beschauen." Das schrieb Eugene Ionesco 1972. Tröstend fuhr er fort: "Dennoch, wenn wir um uns blickten, über uns und in uns schauten, könnten wir die Frische des Erstaunens wieder entdecken, das die Welt ebenso frisch und jung machte, wie am ersten Tag der Schöpfung. Wir müssen wieder lernen, verwundert zu sein." Leisten wir uns dieses Vergnügen. Der Advent wäre eine gute Zeit dazu.

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Hat Gott Humor?

(2003)

Einstimmung auf ein fröhliches Pfarrfest

"Erlöster müssten sie mir aussehen" hat vor gut 100 Jahren der Philosoph und radikale Religionskritiker Friedrich Nietzsche angesichts der verdrießlichen Gesichter in seiner christlichen Umgebung gespottet. Auch heute noch empfinden viele Religion als allzu ernste Sache, gemäß dem Motto: "Alles Angenehme im Leben ist entweder unmoralisch oder macht dick!" Kein Wunder, hat man doch jahrhundertelang in Theologie und Lehre alles getan, um im Namen Gottes Lebensfreude abzuwerten und schlecht zu machen. In seinem Roman "Der Name der Rose" lässt Umberto Eco mittelalterliche Kirchengelehrte allen Ernstes darüber streiten, ob Jesus jemals in seinem Leben gelacht hat!

Tatsächlich findet sich bedauerlicherweise keine Stelle in der Bibel, in der ausdrücklich von einem lachenden Jesus berichtet wird. Doch wie sollte er nicht gelacht haben: Er, der so gerne gefeiert hat, dass man ihn als "Fresser und Weintrinker" beschimpfen konnte, der die Lilien auf dem Felde und die Vögel des Himmels gepriesen hat, der Kinder als Vorbilder hinstellte, und der als Bild für das Reich Gottes gerne das Hochzeitsfest genommen hat? Und solche Feste dauerten mehrere Tage lang, mit Wein, Musik und Tanz! Religion war für Jesus eben keine Weltflucht in eine jenseitige Hinterwelt, keine Beschwörung eines fernen, strengen Gottes, sondern die Tiefe des erlebten Lebens selbst.

Glaube im Sinn Jesu meint keine äußerliches Führ-Wahr-Halten von gelehrten Sätzen, sondern die geschenkte Erfahrung eines tiefen Vertrauens in das Leben, die Erlaubnis, die/der zu sein, die/der man ist, die Befreiung von menschengemachten Abhängigkeiten und Ängsten. Sein Kennzeichen ist der gelassene Leicht-Sinn eines Menschen, der sich selbst und damit auch anderen Genuss und Lebensfreude vergönnt. Das ist etwas völlig anderes als hektische Spaßkultur, die mit Verdrängung belastender Erfahrungen erkauft ist. Von Papst Johannes XXIII erzählt man, er habe in den ersten Wochen nach seiner Wahl wegen der großen Bürde seines Amtes schlecht schlafen können, bis ihm im Traum ein Engel erschienen ist mit dem Rat: "Johannes, nimm dich nicht so wichtig!" Und schon konnte er wieder schlafen! "Gott hat Humor. Sonst hätte er nicht den Menschen erschaffen" (Gilbert Keith Chesterton).

Am 5. und 6. Oktober 2003 feiern wir unser diesjähriges Pfarr- und Erntedankfest! Das bunte Programm verspricht ein vergnügliches, fröhliches Fest. Sie sind herzlich eingeladen!

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"Was mir an euch gefällt"

(2003)

2003 hatten wir eine ungewöhnliche Idee zum Thema Ökumene:
Mag. Günter Wagner, der evangelische Pfarrer von Gallneukirchen beschrieb, was ihm an der katholischen Kirche gefällt, ich beschrieb, was mir an der evangelischen gefällt.

"Was mir an euch gefällt"
Ein evangelischer Pfarrer über die Römisch-katholische Kirche


Einander mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen, ist wesentliches Merkmal gelebten christlichen Glaubens und Grundhaltung der Ökumene. Grundsätzlich freue ich mich darüber, dass das Interesse aneinander zwischen Katholischer und Evangelischer Pfarrgemeinde im Raum Freistadt gewachsen ist und bin dankbar für so manche Freundschaft über die Grenze unserer Konfessionen hinweg. Gemeinsame Bildungsveranstaltungen, Feiern und Reisen ermöglichen Begegnung, Austausch und Gespräch und die Erfahrung, dass Vielfalt im Glauben nicht bedrohlich, sondern bereichernd ist. Die Entdeckung der vielen Gemeinsamkeiten (z.B. in "Caritas" und "Diakonie") sind beglückend und stärkend. Die Frage "Was gefällt Ihnen an der Römisch-katholischen Kirche?" ist für mich als evangelischen Christen und Pfarrer ungewohnt, aber wertvoll und hilfreich. In Dankbarkeit dafür möchte ich darauf antworten:
1. Als evangelischer Christ schätze ich an der Römisch-katholischen Kirche grundsätzlich die Fest- und Feierkultur in den Pfarrgemeinden. Diese ist spürbar in Gestalt der Gottesdienste, die nicht nur "auf den Kopf" zielen, sondern sinnlich, ganzheitlich und meditativ ausgerichtet sind.
2. Schon sprachlich bemerke ich Unterschiede zur Gottesdienstpraxis in meiner Kirche: In evangelischen Kreisen ist gerne vom "Gottesdienst halten" die Rede, wird oft danach gefragt, "wer den Gottesdienst hält" (d.h. wer ihn leitet). Im katholischen Umfeld wird hingegen mehr vom "Gottesdienst feiern" gesprochen.
3. Katholische Gottesdienste erlebe ich schon in den einfachen Formen bunt: Zum gesprochenen Wort treten Farben und Düfte, Symbole und Zeichen. Musik begegnet mir in vielfältiger Gestalt (Gregorianik, Klassik, rhythmische und meditative Gesänge, etc.). Die "nonverbale Kommunikation" nimmt somit einen hohen Stellenwert ein.
4. Als evangelischem Pfarrer imponiert mir, dass seit dem II. Vatikanum der Wortverkündigung (Predigt) in den Gottesdiensten zunehmend Raum geschenkt wird, aber auch, dass daran festgehalten wird, dass Predigt und Danksagung (Wort Gottes und Eucharistie) zusammengehören. Das ist nicht nur theologisch folgerichtig, sondern auch emotional stimmig.
5. Ich finde es darüber hinaus beeindruckend, welch großartige Kunstwerke die große Schwesterkirche in der Bau- und Raumgestaltung über die Jahrhunderte hinweg hervorgebracht hat. Viele Kirchenräume regen an zum Verweilen, zur Andacht, zu Besinnung und Gebet. Sei es in romanischen Kapellen, in gotischen Kathedralen oder auch in moderneren Sakralräumen - die Atmosphäre lässt meist etwas spüren von einer tiefen, mystischen Frömmigkeit, die viel mit Stille und Kontemplation zu tun hat.
6. Natürlich finde ich auch den Gedanken der "Weltkirche" faszinierend - eine positive Vorwegnahme von "Globalisierung" und ein Bewusstsein der Verbundenheit über alle Grenzen hinweg. So beobachte ich bei vielen Mitgliedern ein stark ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Kirche, obwohl sie sich durchaus auch kritisch gegenüber bestimmten Lehrauffassungen und Lebensformen äußern. Während im Protestantismus solche Meinungsunterschiede häufig zu Neugründungen von Gemeinschaften führen (z.B. Freikirchen), scheint die Römisch-katholische Kirche die Vielfalt von Gruppen und Strömungen besser integrieren zu können.
Sicherlich bergen die genannten Beobachtungen und Erfahrungen auch Gefahren in sich (z.B. ist bei Punkt 6 die Machtfrage kritisch zu stellen). Falsch sind sie deshalb aber nicht, meint in der Verbundenheit der Liebe Gottes

Ihr Pfarrer Mag. Günter Wagner
Evangelischer Pfarrer in Gallneukirchen-Freistadt


Meine Antwort aus der Sicht eines gelernten Katholiken:
"Sie sind zwar evangelisch, aber sonst ganz nett ..."
Was einem Katholiken an der evangelischen Kirche gefällt


Ich wuchs im katholischen Reichenau auf und durfte als Kind ein paar Mal mit den Eltern und meiner Tante nach Weikersdorf fahren, wo wir in der Gärtnerei, die dem evangelischen Diakoniewerk Gallneukirchen gehört, Salatpflanzen und anderes Grünzeug kauften. Meine Tante, eine herzensgute und fromme Frau, bezeugte jedes Mal ihren Respekt vor den "Lutherischen" in Form lobender Sätze, die stets mit einem einschränkenden "aber" versehen waren: "Sie sind zwar evangelisch, aber sonst ganz nette Leute", "sie glauben nicht an die Muttergottes, aber tun viel für die Armen", "sie halten nichts auf den Papst, geben aber viel für die Mission!" Evangelische waren für mich als Kind mustergültige, vorbildliche Pflanzenzüchter, versehen mit einem einzigen Makel: dass sie nicht katholisch sind!
Jetzt, viele Jahre später, sehe ich klarer und komme gern der Aufgabe nach, auf die Lobesworte des evangelischen Pfarrers Günter Wagner gegenüber der katholischen Kirche zu antworten. Ich möchte es ihm mit der gleichen Münze heimzahlen: Es gibt nämlich eine ganze Menge, was mir als gelerntem Katholiken an der evangelischen Kirche gefällt! Zum Beispiel:

* Das religiöse Genie Martin Luther: Er hat die römische Kirche gezwungen, sich endlich wieder ernsthaft um Religion zu kümmern. Man kann sich heute kaum vorstellen, welches Ausmaß an Aberglauben, Korruption und Machtmissbrauch vor der Reformation geherrscht hat. Hätten sich nicht die Reformatoren gegen Heiligenverehrung gewandt, man müsste Luther heilig sprechen.
* Wertschätzung der Bibel: Für Evangelische ist die Bibel die Quelle des Glaubens. Lesen und Studieren der Bibel führte zu einem Aufschwung der Allgemeinbildung insgesamt. Zahlreiche Geistesgrößen des Abendlandes sind in evangelischen Pfarrhäusern aufgewachsen.
* Konzentration auf das Wesentliche: Von Luther ging ein starker Impuls aus, nicht an der Oberfläche der Religion stehen zu bleiben. Im Zentrum sollen Bibel, Glaube, Gnade und Christus stehen. Bis heute ist evangelische Theologie oft radikaler und riskanter, vielleicht auch gefährdeter als bei uns. Ohne die geistigen Leistungen eines Albert Schweitzer, Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer, Rudolf Bultmann u.v.a. wäre auch die katholische Theologie heute viel ärmer.
* Demokratische Strukturen: Die evangelischen Kirchen haben die unbiblische Spaltung in Klerus und Laien aufgehoben, kennen keinen Zwangszölibat für Pfarrer und ein viel höheres Maß an Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen.

Die Erfahrung, dass "Vielfalt im Glauben nicht bedrohlich, sondern bereichernd ist", teile ich mit Günter Wagner. Es ist wichtig, den Weg des Dialogs weiterzugehen. Dazu gehört auch unser Respekt vor der Glaubenstreue, die es braucht, inmitten einer katholischen Umwelt als evangelische Minderheit durchzuhalten. Der Papst hat zwar in seiner jüngsten Enzyklika eine "Abendmahlsgemeinschaft" mit Evangelischen untersagt, das hindert aber unseren Freistädter Pfarrer nicht daran, mit dem evangelischen Kollegen jeden Dienstag "Mittagsmahlgemeinschaft" zu pflegen. Und das ist gut so.

Ich möchte schließen mit einem Satz, den die jüngst verstorbene, wunderbare evangelische Theologin und Dichterin Dorothee Sölle über Jesus gesagt hat:
"Vergleiche ihn ruhig mit anderen Größen - Sokrates, Rosa Luxemburg, Gandhi, - er hält das aus. Besser allerdings, du vergleichst ihn mit dir."

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Viel Lärm um Haderer

(2002)

Um mich gleich einmal zwischen alle Sessel zu setzen, zwei Thesen:
1. Gerhard Haderer ist ein genialer Karikaturist, sein Jesus-Buch aber leider ein Schmarrn.
2. Mindestens so ärgerlich wie dieses Buch ist die Haltung seiner schärfsten Kritiker.

ad 1) Ich bin schon lange Haderer-Fan, habe seine Kalender und Bücher verschenkt und geschenkt bekommen, und hoffe, dass das noch lange so bleiben möge. Wie kein anderer im Land beherrscht er die Kunst, Dummheit und Bosheit in der Gesellschaft mit Mitteln der Karikatur bloßzustellen. Das gilt auch für Zustände in der Kirche. Wenn man wie ich ziemlich ohnmächtig mit ansehen muss, wie gewisse Herren im Namen des Christentums ihre privaten Machtspiele inszenieren, sind Haderers Karikaturen vom "Krenn de la Krenn" der österreichischen Kirche ein verlässlicher Garant dafür, dass einem vor Ärger und Zorn das Lachen doch nicht ganz vergeht.
Anders sein neues Buch, "Das Leben des Jesus". Haderer versucht sich dabei nicht nur als Zeichner - hier ist er perfekt wie immer-, sondern auch als satirischer Autor, und das misslingt ihm gründlich. Die Geschichte ist einfach zu schwach: Der kleine Jesus wird süchtig nach Weihrauch, beginnt dadurch zu leuchten, zieht eine Schar von Jüngern an, die seine Wirkung vermarkten (mittendrin recht unmotiviert Kanzler Schüssel), bis er sich zuletzt davon distanziert, um in den Himmel zu entschweben. Dazwischen betrachtet man die Heilung eines Mädchens, das sich ständig die kleine Zehe bricht, die Verwandlung von Wasser in Wein, und fragt sich, was das mit der rauschgiftähnlichen Wirkung von Weihrauch zu tun haben soll. Die ganze Sache ist weder stimmig noch originell. Die Grundidee ist übrigens gestohlen: Wie jemand infolge des Besuchs der drei Weisen unfreiwillig zum Messias wird hat man in der grandiosen Filmsatire "Das Leben des Brian" schon gesehen. Vielleicht sollte sich Haderer ein warnendes Beispiel nehmen am Schicksal der Asterix-Hefte: Seitdem der Zeichner meint, er wäre auch ein Erzähler, sind die Geschichten mehr peinlich als unterhaltsam.

ad 2) Der Protest gegen das Buch hat eigenartige Formen angenommen. So mancher Leserbrief erlaubt Einblicke in das Seelenleben rechtskatholischer Kreise, die insgeheim den Zeiten nachtrauern, als die Kirche noch die Macht hatte, missliebige Kritiker als Ketzer zu beseitigen. Unter dem Vorwand der Entrüstung über Haderers Buch wird dann gleich in einem Aufwaschen der "Zeitgeist", die "moderne Kunst", Demokratie und Freiheit, und was es da sonst noch an Verderblichem seit 1789 gibt, verdammt und verteufelt.
Dass man mit solchen Stimmen nichts zu tun haben will heißt aber nicht, dass man nicht das Recht hat, Haderers Buch als schwach und geschmacklos zu empfinden, auch mit Blick auf die oft zitierten "einfachen" Leute, die man nicht einfach in ein konservatives rechtes Eck schieben kann, denen Jesus persönlich aber viel bedeutet. Jesus gibt doch unglaublich viel her im Sinn einer radikalen Kultur- und Kirchenkritik, als Figur des Widerstands gegen Dummheit und Bosheit. Haderer reduziert ihn auf eine grenzdebile, Weihrauch-bekiffte Witzfigur. Schade.

Haderer hatte Recht, als er dazu aufrief, "cool zu bleiben". Satiriker tanzen manchmal auf dünnem Eis, lassen sich von ihrer Phantasie mitreißen, versuchen sich an ungewöhnlichen Themen. Und sie haben gegenüber dem Papst einen großen Vorteil: Sie müssen nicht so tun, als wären sie unfehlbar. Das erhält ihnen die Lernfähigkeit. Beim Thema Jesus sollte Haderer diese Chance nutzen, sich künftig bessere Texte suchen, und im Übrigen das bleiben, was er ist: unser bester Karikaturist.

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Eine dreiteilige Serie zum Nahostkonflikt

(2002)

Teil 1: "Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner schaut hin"

Freilich schaut man hin, lange schon, jeden Tag in diversen ZiB's, wie die Spirale von Hass und Gewalt im Nahen Osten wieder Opfer gefordert hat, doch über die eigentlichen Ursachen will kaum jemand etwas wissen. Natürlich sind alle gegen Gewalt, ganz besonders nach dem 11. September 2001. Doch zugleich hat man mit diesem Datum ein neues Feindbild gefunden, den "Terrorismus". Statt nach den Ursachen der Gewalt zu fragen, setzt man auf Gegengewalt, die sicherste Methode, immer wieder neuen Terror zu erzeugen.
Die Nahostkrise besteht in einem dreifachen Skandal: in der kolonialistischen Demütigung des palästinensischen Volkes durch den Staat Israel, in der Rückendeckung dieser Politik durch die USA, im Wegschauen der westlichen Welt.
Die bei uns weit verbreitete Scheu, die Politik Israels zu kritisieren, ist historisch verständlich. Die Gefahr, dass der alte Antisemitismus wieder auflebt, ist tatsächlich groß. Die Lehre aus den Gräueln des Rassismus kann aber doch wohl nicht darin bestehen, dass man jetzt wegschaut, wenn wieder ein Volk vertrieben und ausgebeutet wird. Kritik an einer bestimmten Politik des Staates Israel ist nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen, im Gegenteil. Gerade jene, die Respekt haben vor der großen Kultur und Religion des Judentums, müssen sich auch für die Rechte der Palästinenser einsetzen. Die jüdische Menschenrechtsanwältin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Felicia Langer schreibt: "Meine Lehre aus dem Holocaust war und ist, angesichts jeglichen Unrechts und Verbrechens nicht zu schweigen ... Deshalb habe ich mich für die Rechte der durch meine Heimat Israel entrechteten Palästinenser eingesetzt, für einen Frieden mit Gerechtigkeit für sie und uns und gegen all jene, für die die Lehre des Holocaust Hass, Grausamkeit und Gefühllosigkeit gegenüber dem Nachbarvolk bedeutet." (Felicia Langer, Quo vadis Israel? Lamuv 2001, 7f.)
Als Saddam Hussein 1990 Kuwait besetzte, schrie die ganze westliche Welt auf. Ein großer Krieg im Namen einer "neuen Weltordnung" musste her, der (zuvor vom Westen hochgerüstete) Bösewicht wurde besiegt, sein Volk seither international geächtet und ausgehungert. Weil der Diktator UNO-Inspektoren nicht alle seine Waffen zeigt, spekuliert man ganz offen mit einem neuen Krieg.
Und Israel? Ein hochgerüsteter atombewaffneter Staat (der selber noch nie eine Inspektion seiner Atomanlagen zuließ) macht das Flüchtlingslager Jenin dem Erdboden gleich. Die Palästinenser berichten von Massakern, ein UNO-Beauftragter formuliert sein Entsetzen, doch die USA verhindern eine Untersuchung. Kein Staat der Welt hat so oft gegen UNO-Resolutionen verstoßen wie Israel. Doch das hat keinerlei Folgen, weil die USA noch gegen jede Sanktion im UN-Sicherheitsrat ihr Veto einlegte.
Das Wort "Terror" heißt auf Deutsch "Schrecken, Gewaltherrschaft". Hunderttausende Palästinenser leben seit 1948 entweder als Vertriebene im Ausland oder eingepfercht in Flüchtlingslagern als Gefangene in ihrem eigenen Land. Israelische Kampfhubschrauber zerschießen ihre Siedlungen, israelische Bulldozer verwüsten ihre Felder, reißen ihre Olivenbäume aus. Warum verwendet dafür niemand das Wort Terror? Ist es da noch zu verwundern, wenn unter den verzweifelten Palästinenserflüchtlingen der dritten oder vierten Generation islamistische Fundamentalisten leichtes Spiel haben bei der Rekrutierung von Selbstmordattentätern? Warum sind immer nur jene die Terroristen, die sich gegen die Unterdrückung wehren? Merkt denn keiner, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird?
Man kann die Sehnsucht der Juden nach einem eigenen Staat verstehen und auch ihre Entschlossenheit, nach dem Trauma der Shoa nie wieder wehrloses Opfer sein zu wollen.
Die Lösung kann aber nicht darin bestehen, selber gegenüber den Palästinensern zu Tätern zu werden. Die einzige Chance, aus dem Teufelskreis von Gewalt und Rache herauszukommen, liegt in einer Aufarbeitung der Geschichte des modernen Staates Israel. Im zweiten Teil dieses Artikels sollen daher die historischen Wurzeln des Nahostkonflikts beleuchtet werden.


Teil 2: Die Gründung des Staates Israel:

Theodor Herzl und die Folgen

Ende des 19. Jhs. lebten Juden bereits seit über 2400 Jahren ohne eigenen Staat in der Diaspora. Auch in Palästina, damals Teil des Osmanenreiches, gab es unter 95% palästinensischer Bevölkerung jüdische Gemeinden. Steigender Antisemitismus in Europa (Pogrome in Russland!) führte 1897 zur Gründung der "zionistischen Bewegung" durch den Wiener Juden Theodor Herzl. Sein Grundgedanke: Wenn für uns kein Platz in den Nationen Europas ist, dann gründen wir unseren eigenen Staat am "Berge Zion". Die Zionisten, anfangs eine sektenartige Minderheit, setzten sich schließlich durch, weil alle anderen jüdischen Gruppen Opfer von Vertreibung und Mord geworden sind: ein "Triumph der Tragödie" (John Bunzl). Die Schattenseite war die Verdrängung der Tatsache, dass im Lande seit vielen Jahrhunderten ein anderes Volk lebte. Die Zionisten waren nicht von Anti-Arabismus motiviert. Sie hofften einfach, einen Platz für eine potentielle jüdische Masseneinwanderung gefunden zu haben. Nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland 1933 stieg die Zahl der Einwanderer rasch an. Die Palästinenser befürchteten, im eigenen Land zur Minderheit zu werden, denn es ging den Einwanderern nicht um Integration, sondern um Ausweitung jüdisch-ethnischer Gebiete als Kern eines Judenstaates. Sie kauften Land und bauten eine eigene, geschlossene Wirtschaft auf (etwa die "Kibbuz"-Bewegung), aus der die arabische Bevölkerung ausgeschlossen war. Es gibt kein Beispiel in der Geschichte, dass so etwas je ohne Gewalt funktioniert hätte.

Zwischen "Balfour-Deklaration" und "Weißbuch"

Die Zionisten erreichten 1917 vom Briten Arthur Balfour die Zusage, dass Großbritannien die Errichtung einer jüdischen Heimstätte in Palästina unterstütze, ohne die Rechte anderer Völker damit zu schmälern. Großbritannien hoffte, Teile des zerfallenden Osmanischen Reiches zu "erben", und erhielt tatsächlich 1919 vom Völkerbund das Mandat über Palästina. In den Vertragstext war die Balfour-Deklaration eingebaut. Es gibt also jetzt einen britischen Kolonialstaat, der Teile des zionistischen Programms ermöglicht. Wäre damals gleich ein arabischer Staat entstanden, hätte er die weitere Zuwanderung verhindert, die nun in großem Stil organisiert wurde (obwohl es bis 1948 nur gelang, 7% des Bodens zu kaufen). Das konnten die Araber nicht dulden. Die Konflikte häuften sich. 1939 erließ Großbritannien daher ein "Weißbuch", in dem das Versprechen von 1917 eingeschränkt, die Aussicht auf einen eigenen Judenstaat gestrichen wurde. Die Reaktion der Juden: "Wir kämpfen mit Großbritannien gegen Deutschland, als ob es kein Weißbuch gäbe. Wir kämpfen gegen das Weißbuch, als ob es keinen Krieg gäbe!" (David Ben Gurion). 1947 schließlich legte Großbritannien die Palästinafrage der UNO vor. Am 29. 11. 1947 empfahl die UNO die Gründung eines israelischen und eines palästinensischen Staates.

Die Gründung des Staates Israel

Am 15. Mai 1948 erlosch das britische Mandat. Am gleichen Tag wurde durch David Ben Gurion der Staat Israel ausgerufen. Er umfasste 77% Palästinas. Noch am selben Tag begann der erste "Nahost-Krieg": 852 000 Palästinenser wurden vertrieben, im Land blieben 156 000. In 28 Flüchtlingslagern leben seitdem (zunächst in Zelten, dann in UNO-Notunterkünften) 320 000 Menschen. Mit dieser Vertreibung (der "Nakbah") war das Palästinenserproblem geboren. Der UNO-Sicherheitsrat verabschiedete im Dezember 1948 die Resolution 194 (der noch viele ähnliche folgen sollten): Die Grenzgebiete sollen entmilitarisiert werden, die Flüchtlinge sollen zurückkehren dürfen, Jerusalem soll internationalisiert werden. Israel kümmerte sich bis heute nicht darum. Ihre Führer, zutiefst traumatisiert vom entsetzlichen Leiden der Juden im Holocaust, waren und sind fest entschlossen, einen Zufluchtsort für alle Juden zu schaffen. Zugleich aber schufen sie neues Unrecht, das Frieden im Land bis heute unmöglich macht. Uri Avnery, Sprecher des israelischen "Friedensblocks" (Gusch Schalom) bringt es auf den Punkt: "Der erste Schritt zum Frieden ist, die Traumata, die Ängste, die Hoffnungen der anderen Seite zu verstehen. Für die Palästinenser bedeutet das, die Nachwirkungen des Holocausts auf die Seele der Israelis zu begreifen; für uns bedeutet das, die Nachwirkungen der Nakbah, d.h. der Katastrophe, der Massenvertreibung von 1948 auf die Seele der Palästinenser zu verinnerlichen."


Teil 3: "Selig, die keine Gewalt anwenden.
Sie werden das Land erben" (Mt 5,5)


Der Sprung aus dem brennenden Haus

Die "Isaac-Deutscher-Metapher" (benannt nach einem jüdischen Historiker) beschreibt die Lage im Nahen Osten mit einem prägnanten Bild: Ein Mann springt aus dem Fenster eines brennenden Hauses, und landet auf dem Kopf eines Passanten. Dieser wird dadurch zum Invaliden, und zwischen beiden entsteht ein lebenslanger Konflikt. Das brennende Haus ist Europa im zweiten Weltkrieg, der Mann vertritt die Juden, die dem Holocaust entfliehen, der Passant das Volk der Palästinenser, das das Pech hat, genau dort zu leben, wo die Juden ihren Staat aufbauen wollen.

Die Spirale der Gewalt seit 1948

Der "Geburtsfehler" des modernen Staates Israel ist die "Nakbah", die Vertreibung der alteingesessenen palästinensischen Bevölkerung. Seither ist er nicht mehr zur Ruhe gekommen! Die UNO fordert seit ihrem Bestehen in vielen Resolutionen Selbstbestimmung und nationale Souveränität für die Palästinenser, Rückzug jüdischer Truppen aus besetzten Gebieten, Einstellung der jüdischen Siedlungstätigkeit etc. Israel, von den USA beschützt, kümmerte sich bislang darum nicht, sondern setzte immer wieder auf Gewalt: Vier große Kriege, zahllose und in letzter Zeit fast tägliche Gewaltaktionen erschüttern das Land, verzweifelte und ebenfalls gewaltsame Gegenschläge und Terroraktionen der Palästinenser blieben nicht aus.

Die Lage heute

Die palästinensische Friedensaktivistin Farhat Naser beschreibt, warum die heutige Lage nach dem Oslo-Friedensprozess von 1994 wieder so hoffnungslos ist: "Was ist in Wirklichkeit geschehen? Statt Landrückgabe ist der Landraub weitergegangen, statt dass die Besatzung aufgehört hätte, sind wir heute besetzt wie nie zuvor: Die Westbank ist in 48 voneinander getrennte Einheiten mit 291 Checkpoints unterteilt. Mein eigener Bewegungsraum in Ramallah erstreckt sich auf gerade einmal ein bis zwei Kilometer, dann beginnt eine so genannte Pufferstraße, auf der man sich nur zu Fuß bewegen darf. Alle Sachen müssen in der Hand oder auf dem Rücken getragen werden, selbst die Kranken müssen getragen werden. Der Transport per Esel hat wieder Hochkonjunktur. Und bei all dem kann man noch von Glück sagen, wenn die Soldaten nicht schießen."

Die Rolle der Religion

Fundamentalisten auf beiden Seiten gießen Öl ins Feuer und reklamieren den "Willen Gottes" nur für die eigene Sache. Fanatismus und Gewaltbereitschaft sind die Folge. Eine rationale und humane Lösung scheint mit dem Beharren Israels auf die biblische Verheißung des Landes an Abraham (Gen 17,8) unvereinbar. Umgekehrt sehen die Palästinenser eine Analogie zum Mittelalter: So wie die lateinischen Kreuzfahrer von den Muslimen besiegt wurden, so werde auch der Staat der aus dem Westen gekommenen Israelis wieder verschwinden. Eine regionale Lösung auf dem Boden nationaler Selbstbestimmung auch für die Palästinenser, oder ein grausamer Dauerkonflikt, das scheint die Alternative für den modernen Judenstaat zu sein.

Stimmen der Hoffnung

Auf beiden Seiten gibt es gottlob immer mehr Menschen, die sich für Versöhnung und Gerechtigkeit einsetzen. Einer solchen Stimme soll das Schlusswort gehören:
So dunkel auch die Gegenwart aussieht, ich glaube, dass wir heute dem Frieden näher sind als je. Auf beiden Seiten besteht eine große Mehrheit, die den Frieden will, sie glaubt aber nicht, dass der Frieden möglich ist. Die Verteufelung des Feindes, die Angst vor dem Fremden, das Unverständnis für das Recht des Anderen - sie führen dazu, dass dieser Friedenswille nicht zum Ausdruck kommt. Aber so viel Blut auch fließt, so viel abscheuliche Dinge auch passieren, wie gerade jetzt in Dschenin, am Ende werden unsere beiden Völker in diesem kleinen Lande nebeneinander und zusammen leben müssen, weil jede andere Lösung zu schrecklich ist, um auch nur an sie zu denken. (Uri Avnery)

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Mensch und Natur

(2001)

Anmerkungen zu einer schwierigen Beziehung

1. "Macht euch die Erde untertan"?
Kaum eine Bibelstelle wird so gründlich missverstanden wie Gottes Auftrag an die Menschen (Gen 1,28), sich die Erde "zu unterwerfen". Dieser Satz wurde als Freibrief angesehen, die Güter dieser Welt rücksichtslos auszubeuten. Der Kampf gegen die Natur und gegeneinander wurde zum Motor der christlich-abendländischen Geschichte. Zugleich las man aus der Bibel die Vorstellung heraus, der Mensch stünde über der Natur, Pflanzen und Tiere seien nur auf ihn hin geschaffen, ohne eigenen Wert und eigene Würde. Bis heute werden Kritiker an Tierversuchen, Massentierhaltung und Tiertransporten als naive Spinner angesehen in einer Welt, in der der schnelle Profit Wirtschaft und Politik bestimmt. Naturwissenschaft wird nicht mehr betrieben, um "das Erforschliche zu erforschen und das Unerforschliche staunend zu verehren", wie noch Goethe gemeint hat, sondern - gelenkt von riesigen Konzernen - um Markt- und Machtpositionen abzusichern. Der Zwang, sich dabei vorschnell auf riskante Technologien einzulassen (z.B. Atomkraft und Gentechnik), gehört zur Logik des Systems. Dazu der berühmte Biochemiker Erwin Chargaff (* 1905): "Meine Generation hat als erste, unter der Führung der modernen Naturwissenschaften, einen vernichtenden Kolonialkrieg gegen die Natur unternommen. Die Zukunft wird sie deshalb verfluchen."
Immer mehr Menschen fühlen, dass der distanzierte, berechnende Blick auf die Natur nicht nur zerstörerisch und riskant ist, sondern vom Ansatz her einseitig und falsch.

2. Die Natur als Mutter: Was wir von Naturreligionen lernen können

Weit über die Grenzen der Grünbewegungen hinaus ist seit einiger Zeit eine große Sehnsucht spürbar, Welt, Leben und Natur umfassender, "ganzheitlicher" wahrzunehmen. Staunend wird die Weisheit der Naturvölker wieder entdeckt, verblüfft nimmt der bisher so überhebliche Wohlstandsbürger zur Kenntnis, dass die Weltsicht untergegangener, teils grausam verfolgter Kulturen (Indianer, Aborigines, Kelten etc.) für uns eine tiefe und heilsame Weisheit enthält:
Der Mensch ist Teil der Natur, tief verbunden den Pflanzen und Tieren als Mitgeschöpfen. Ein "Sieg über die Natur" wäre zugleich sein eigener Untergang! Die ganze Erde kann als eine große Mutter erfahren werden. Auch für unsere Breiten gibt es Hinweise, dass es einmal eine Zeit gegeben hat, in der die Beziehung Mensch - Natur friedlicher und liebevoller gewesen ist. Im Wort "Materie" klingt noch die Erinnerung an diese Wahrnehmung ("mater"= Mutter) mit.
Vielleicht leben wir wirklich in einer "Wendezeit", in der eine harte, autoritäre, hierarchische Weltsicht abgelöst wird durch eine sanfte, mitfühlende, tolerantere, offenere Sicht des Lebens. Vieles, was sich im alternativen und esoterischen Bereich abspielt, sofern es nicht zu Weltflucht und sektenhafter Überheblichkeit führt, gibt Anlass zu dieser Hoffnung.

3. "... damit er den Garten bebaue und behüte"

Wer die biblischen Schöpfungsgeschichten im Zusammenhang liest, wird rasch erkennen, dass sich die rücksichtslosen Weltverteiler zu Unrecht auf sie berufen: Der Mensch ist beauftragt, die Erde wie einen Garten zu "bebauen und behüten". Der Herrschaftsauftrag ist Ausdruck seiner Verantwortung als Mitarbeiter Gottes. Von einer abgehobenen Machtposition ist nirgendwo die Rede, im Gegenteil: Genau wie alle anderen Lebewesen sind wir aus Erde, aus "Staub". Angst vor Not und Plage, Krankheit und Tod sind aufgehoben durch die Geborgenheit in der Hand Gottes. Das Paradies wird geschildert als traumhafte Vision, wie die Schöpfung von Gott gemeint ist: als märchenhafte Gemeinschaft zwischen Menschen und Tieren in einem heimatlichen Garten.
Der Riss in der Schöpfung beginnt mit dem Größenwahn des Menschen, dem Wunsch, "wie Gott zu sein". Wohin eine Weltsicht jenseits von Eden, jenseits der Harmonie mit Gott und Natur führt, davor warnt die Bibel in harten und zeitlosen Geschichten (Sündenfall, Kain und Abel, Sintflut, Turm von Babylon): Das Leben wird ein Kampf gegen die Natur und gegeneinander.

4. Zurück zur Natur?

Wir sind als Kinder der Natur bis hinein in unser Denken und Fühlen das Produkt von unvorstellbar langen Entwicklungen, das zeigt moderne Evolutionsforschung eindrucksvoll. Also "zurück zur Natur"? Der Slogan: "Macht euch der Erde untertan!" (in Umkehrung des Bibelspruches), klingt zwar gut, ist aber ebenso einseitig und verantwortungslos wie sein Gegenteil. Auf die typisch menschlichen Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Angst vor dem Tod gibt uns die Natur nämlich keine Antwort mehr. Man kann sie auch als verschlingend und rücksichtslos gegenüber dem Schicksal des Einzelnen erleben. Hält man solche Wahrnehmungen für die Stimme Gottes, dann landet man sehr schnell beim sozialdarwinistischen Recht des Stärkeren, des Faschismus.
Hier liegt die Aufgabe und Chance einer Religion, die den Menschen nicht von seinen natürlichen Kräften abgespalten sieht: Die Erschließung der Erfahrung, dass es im Ursprung und Urgrund von allem, jenseits des gähnenden Abgrunds der Natur, einen Willen, eine Vernunft, ein liebevolles "Du" gibt, das will, dass wir sind! Solange wir den Tod fürchten wie ein letztes, noch nicht besiegtes Ungeheuer, müssen wir gegen die Natur, die uns trägt, kämpfen. Wenn aber das Vertrauen in einen liebevollen Hintergrund der Welt uns nahe genug kommt, um diese Angst zu überwinden, wenn wir unsere Ansprüche an sie nicht überfordern, dann kann uns die Natur ein tröstender und heimatlicher Erfahrungsraum sein für unseren Lebensweg.
Es ist an der Zeit, unsere Macht- und Herrschaftsansprüche gegenüber der Natur zu begrenzen, um mitleidiger zu werden mit allen Geschöpfen. Dann könnten wir, um mit Eugen Drewermann zu sprechen, "zum ersten Mal vielleicht leben, wofür wir von den Anfangsseiten der Bibel her bestellt wären: als Bewahrer und Behüter des Paradieses der Schöpfung, als Vertraute, als Poeten, als Sänger der Natur mit all ihren Liedern, mit all ihrer Schönheit."

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"Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht!"

(2001)

Als russische Kosmonauten erstmals in einer Raumkapsel die Erdumlaufbahn verließen, funkten sie angesichts der Leere des Weltraumes triumphierend zur Erde, dies sei der Beweis dafür, dass es keinen Gott gäbe. Irgendwie hatten sie recht: Einen Gott, der irgendwo wie ein Gegenstand vorkommt im Weltraum, der wie ein Sciencefiction-Wesen herumhockt in der Galaxis, in Zeit und Raum, den gibt es nicht. Nur wussten die beiden atheistisch erzogenen Herren offenbar nicht, dass die Religionen dieser Welt unter Gott immer etwas ganz anderes verstanden haben: Den Grund und Ursprung aller Dinge, aller Wesen, von Raum und Zeit. Dieser Gott kann doch nicht selber als einzelnes Wesen inmitten seiner eigenen Schöpfung vorkommen, neben anderem, was es auch noch gibt. Vom evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer stammt der Satz: "Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht!" Solange man darüber streitet, ob Gott als etwas Äußerliches existiert, ob es "ihn" irgendwo gibt, hat man von Religion noch nichts verstanden. Besser wäre die Frage: Wie erfahre ich die Tiefe meines Lebens, auf Grund welcher Erfahrungen taucht denn überhaupt das Wort Gott, ein Gefühl von Gott auf, wer bin ich selbst vor dem unbeschreiblichen Geheimnis, aus dem ich komme, in das ich gehe?
Das Ziel einer Suche nach Gott kann daher nie ein "Wissen" sein, oder ein "Gottesbeweis". Auch Dogmen, Bekenntnisse, ja sogar Gebete, sind nicht das Ziel, sondern (allerdings wichtige) Versuche, sich zu öffnen auf das Unaussprechliche hin. Wenn Gott der Ursprung von allem ist, dann kann er auch auf unzähligen Wegen gesucht und gefunden werden. Die ganze Welt ist voller Symbole, Riten, Mythen, Geschichten, Religionen, die aus tiefen Erfahrungen entstanden sind, und uns auffordern, ebenfalls von der Oberfläche in die Tiefe zu steigen.
Über die Frage, ob ein "höheres Wesen" (irgendwo) existiert kann man trefflich streiten. Existentiell ist die Frage ziemlich uninteressant. Wonach wir wirklich suchen sollten ist Antwort auf die Frage, ob "Gott" da ist in unserem Leben, ob wir die Welt noch als Geheimnis wahrnehmen können, wie wir es vielleicht als Kinder konnten, ob ich noch staunen, träumen, danken und jubeln kann, weil ich mich vom Himmel berührt fühle. Auf diesem Weg kann ein Grundvertrauen entstehen, das keine Grenzen mehr kennt, das durch alle Ängste und Bosheiten hindurch einen Gott am Werke sieht, der in unsagbarer Weise uns nahe sein will, ein Gott, den man nicht haben kann, sondern der sich ereignet: in der Stille, der Lebensfreude, im Verzeihen, im Erlebnis eines Neuanfangs, im Abschiednehmen, vor allem aber im Augen-Blick, im liebevollen Blick der Augen. Christlich glauben heißt dann, aus diesem als liebevoll erfahrenen Geheimnis heraus zu leben versuchen, und zwar gerne und frei, weil man erfahren hat, dass dieser Gott die eigentliche Wirklichkeit ist, unendlich erhaben über die "Herren dieser Welt", und - wie wir es in der Osterbotschaft bekennen - auch über den "Herren der Herren", den Tod.

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"Frische Semmeln und die Ordnung der Wölfe"

(2000)

Mund auf, Augen zu?

Der Wunsch nach frischen Semmeln am sonntäglichen Frühstückstisch lässt manche in den Chor jener einstimmen, die immer wieder nach "Liberalisierung" der Öffnungszeiten rufen. Es könnte sein, dass dabei vor lauter Konzentration auf den eigenen Appetit Tendenzen in Kauf genommen werden, die am Ende dazu führen, dass wir zwar die ganze Woche rund um die Uhr frische Semmeln kaufen können, aber keinen Sonntag mehr haben, um in Ruhe gemeinsam zu frühstücken. Das Motto "Mund auf, Augen zu" könnte uns teuer zu stehen kommen. Dazu einige Gedanken!

Die Sonntagskultur

Unter Kaiser Konstantin wurde im Jahr 321 der Sonntag gesetzlicher Feiertag. Seitdem hat der Rhythmus von sechs Arbeitstagen und einem Ruhetag das Lebensgefühl unserer Kultur geprägt, wobei die Kirche immer wusste, dass Ausnahmen im Interesse der Gemeinschaft die Regel bestätigen. Am Prinzip des gemeinsamen freien Sonntags hat niemand gerüttelt, seine Bedeutung für den Zusammenhalt der ganzen Gesellschaft, für Familie, für Vereine, Feste, und nicht zuletzt für den Gottesdienst stand außer Streit. Die Versuche, im Zuge der Französischen Revolution (1789) und in der kommunistischen Sowjetunion, 10-Tage-Wochen einzuführen, sind gescheitert. Es blieb der so genannten "freien Marktwirtschaft" vorbehalten, den Angriff erneut zu starten.

"Zeit ist Geld" und die Folgen

Mit dem Aufkommen des Kapitalismus in der Neuzeit verbreitete sich eine neue Arbeitsmoral. Leistung, Konkurrenz und Streben nach Reichtum wurden immer stärker zum Hauptziel des Lebens erklärt. "Zeit ist Geld", formulierte Benjamin Franklin 1748, ein Satz, der in seiner Verrücktheit nicht erkannt und bis heute nachgeplappert wird. Private Übel wie Habgier und Rücksichtslosigkeit galten in der Wirtschaft als Tugenden. Der Mensch, meinte Thomas Hobbes (+1679), sei eben von Natur aus "des Menschen Wolf", das Leben ein "Krieg aller gegen alle". Wenn aber, so Adam Smith (+1790), der Begründer liberaler Wirtschaftstheorien, alle möglichst egoistisch handeln, dann werde am "freien Markt" eine "unsichtbare Hand" für den größtmöglichen Wohlstand aller sorgen. Tatsächlich erlebte die kapitalistische Wirtschaft einen enormen Zuwachs an Produktivität, zugleich aber wurden zahllose Menschen entwurzelt, ausgebeutet und die halbe Welt ausgeplündert. Denn dass dabei die Schwachen und die Natur unter die Räder kommen müssen, liegt auf der Hand. Nur die Ausblendung der Schattenseiten (Dritte Welt!) ermöglicht es bis heute, solchen Thesen Glauben zu schenken.

Die Rolle des Staates

Die schlimmsten Auswirkungen dieses Systems wurden in Europa durch den Widerstand von politischen Massenparteien gemildert, die staatlichen Schutz vor Ausbeutung, und einen gerechten Anteil am erarbeiteten Wohlstand durchsetzen konnten. Seit den 1980-er Jahren gibt es unter den Namen "Neoliberalismus" auch bei uns Versuche, die schützende Hand des Staates wegzuziehen, um auch hier die Arbeitnehmer ganz für Arbeits- und Konsumzwecke zu verbrauchen. "Sozialgesetze fördern nur die Faulheit derer, die sich vom Staat versorgen lassen wollen", sagen Leute, die durch angehäuftes Kapital tausendfach abgesichert sind. Aber die Politiker parieren: In aller Welt werden die Steuern für Spitzenverdiener gesenkt, die Schere zwischen Arm und Reich wächst ebenso wie der Arbeitsdruck auf die Massen. Die einen müssen immer schlechtere Bedingungen akzeptieren, um den Job nicht zu verlieren, die anderen werden in Arbeitslosigkeit gedrängt. Entsolidarisierung, Zerfall der Familien, und soziale Spaltung sind die Folge. Von einer gerechteren Verteilung von Vermögen und Arbeit spricht (fast) niemand.

Widerstand gegen die Totalverzweckung des Menschen

"Der Mensch ist wichtiger als das Kapital" ist ein Hauptsatz der katholischen Soziallehre. Der Mensch ist mehr als der Teil einer Leistungsmaschine, die Welt ist mehr als ein Beutestück im Konkurrenzkampf einiger Riesenkonzerne. Am liebsten würden die anonymen Herren der Welt teure Automaten die ganze Woche laufen lassen und die Geschäfte (wie in den USA) immer geöffnet halten. Der gemeinsame freie Sonntag ist ein letztes Bollwerk gegen den Versuch, aus dem Menschen ein rastloses Arbeits- und Konsumwesen zu machen. Es geht um mehr als bloß ein frisches Semmerl. Es geht darum, nicht nur den Mund, sondern auch die Augen aufzumachen.

Übrigens: Wenn man tiefgekühltes Weißbrot am Vorabend aus der Kühltruhe nimmt, und am Sonntag kurz ins Backrohr legt, schmeckt es wie frisch vom Bäcker. Mahlzeit!

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"Alles heilig oder was?"

(2000)

Hintergründe einer verstörenden Doppel-Seligsprechung

Am 3. September hat Papst Johannes Paul II. zwei seiner Vorgänger "selig gesprochen": Johannes XXIII. (1958 - 1963) und Pius IX. (1846 - 1878). Die Kombination könnte widersprüchlicher nicht sein! Beobachter meinen, die Kurie wollte dem beliebten und populären Johannes XXIII. unbedingt einen konservativen "Hardliner" an die Seite stellen, um die von manchen Kurialen insgeheim bedauerte "Öffnung der Kirche zur Welt" im Sinn des II. Vatikanums nicht noch weiter zu fördern. Die von der Basis geforderte Seligsprechung des "lächelnden Papstes" Johannes XXIII. sollte durch den erzkonservativen Pius IX. neutralisiert werden.
Es ist hier nicht zu entscheiden, was an solchen Spekulationen dran ist. Ein paar vergleichende Einblicke in die Biographien können aber helfen, den Nebelschleier, in den sich vatikanische Entscheidungen gerne hüllen, ein wenig zu lüften.
Pius IX. steht in der Geschichte des 19. Jhdts. als Mann, der kompromisslos das mittelalterliche Denk- und Machtsystem der Kirche gegen die einseitig als bedrohlich empfundene moderne Zeit abzuschirmen versuchte. Als Verteidiger einer "Mauerkirche" (Friedrich Heer) sah er in der Welt nur Abfall und Sünde. In einer Zeit gewaltiger Umwälzungen im Zuge der industriellen Revolution erblickte er seine Aufgabe darin, jeden "Modernismus" abzuwehren und zugleich den eigenen Machtanspruch auszubauen. Geradezu berüchtigt ist der "Syllabus errorum modernorum" ("Sammlung moderner Irrtümer") von 1864, in dem er ohne jede Differenzierung praktisch alles verurteilte, was heute zum Grundbestand der Menschenrechte gehört, die sich - gottlob - auch unser jetziger Papst gerne auf die Fahnen heftet: Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Pressefreiheit, etc. Ausdrücklich verurteilt wurden auch die Aussagen, die Kirche könne auf den Kirchenstaat verzichten, (wie sie es dann 1870 tatsächlich musste) und die Forderung, der Papst müsse "mit dem Fortschritt, mit dem Liberalismus und mit der neuen Zivilisation sich versöhnen und einigen". Pius IX. sah überall nur Feinde am Werk. In seiner Bedrängnis berief er 1870 ein (I.) Vatikanisches Konzil ein, auf dem er (gegen den Widerstand deutscher und österreichischer Kardinäle, die erbost abreisten) das Dogma von der "Unfehlbarkeit des Papstes" feierlich verkünden ließ.
Johannes XXIII. steht in vielen Dingen für das genaue Gegenteil. Auch er hat ein Konzil einberufen, aber nicht, um gegenüber der Welt ein Bollwerk zu errichten, sondern um die "Fenster und Türen" der Kirche zu öffnen, und in einen Dialog einzutreten mit einer Welt, die nicht in erster Linie böse und gefährlich, sondern die wunderbare Schöpfung Gottes ist. Aber lassen wir diesen Papst in seiner Konzils-Eröffnungsansprache von 1962 selber zu Wort kommen.
"In der täglichen Ausübung Unseres Apostolischen Hirtenamtes geschieht es, dass bisweilen Stimmen solcher Personen Unser Ohr betrüben, die zwar von religiösem Eifer brennen, aber nicht genügend Sinn für die rechte Beurteilung der Dinge noch ein kluges Urteil walten lassen. Sie meinen nämlich, in den heutigen Verhältnissen der menschlichen Gesellschaft nur Untergang und Unheil zu erkennen. Sie reden unablässig davon, dass unsere Zeit im Vergleich zur Vergangenheit dauernd zum Schlechteren abgeglitten sei. Sie benehmen sich so, als hätten sie nichts aus der Geschichte gelernt, die eine Lehrmeisterin des Lebens ist, und als sei in den Zeiten früherer Konzilien, was die christliche Lehre, die Sitte und die Freiheit der Kirche betrifft, alles sauber und recht zugegangen. Wir aber sind völlig anderer Meinung als diese Unglückspropheten, die überall das Unheil voraussagen, als ob die Welt vor dem Untergang stünde."
Mit den Unglückspropheten meinte er übrigens jene Kurienkardinäle, die das Konzil am liebsten verhindert hätten. Unbeabsichtigt ist es aber auch eine klare Absage an den Geist jenes Pius IX., der nun mit ihm gemeinsam "auf die Ehre der Altäre" erhoben wurde.

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A.E.I.O.U.

(2000)

Vorsicht, Satire!

Bumsti, jetzt stehen wir da! Jahrzehntelang waren wir die Glückskinder der Geschichte, jetzt mag uns keiner mehr. Was waren das noch Zeiten, als Papst Paul VI. Österreich eine Insel der Seligen genannt hat! Wir sind kellnergleich durch den Kalten Krieg getänzelt, virtuos in der Kunst, nirgends anzustreifen, waren nirgendwo dabei, und haben von allen profitiert. Der Osten ließ uns kosten, der Westen tat uns mästen, und wir waren der neutrale dritte Mann. Wie gut war es zu wissen, immer das arme Opfer gewesen zu sein. Wir konnten einfach nichts dafür. Nichts für den Austrofaschismus, und schon gar nichts für die Nazis. Sicher ist Schreckliches passiert, aber was hätte man denn machen sollen? Bis nach Stalingrad marschieren ist auch kein Honiglecken. Konnte ja keiner wissen, wie das ausgeht. Der Hitler soll ja hypnotische Fähigkeiten gehabt haben. Das erklärt, dass es schlagartig nach dem Krieg keine Nazis mehr gab, und dass sich niemand daran erinnern konnte. Es gab nur mehr fleißige Österreicher. Das Gewissen war rein. Man hatte es nie benutzt. Immer nur die Pflicht getan. Zum Glück war auf den Heldengedenksteinen des 1. Kriegs noch Platz für den zweiten. Über Ansprüche von Opfern sprach man nicht. Waren doch wir die Opfer, doch der kruppstahlharte Indianer kennt keinen Schmerz.
Das politische Denken wurde uns von den Parteien abgenommen, der Proporz sorgte für Vollbeschäftigung: "Für jeden Posten drei Mann, einen Roten, einen Schwarzen, und einen, der was kann!", sang das Kabarett. Österreich wurde zum Musterschüler, und als wir 1995 in die EU aufgenommen wurden, haben die anderen nach unserem Zeugnis gefragt, und wir haben stolz gesagt: "Eh lauter Einser!"
Und jetzt sollen wir auf einmal die bösen Buben Europas sein? Nur weil der Haider aus dem einen Proporz einen anderen machen will? Die EU mischt sich einfach ein, und behauptet, wir sind ihr Inland! Ein paar Internetsurfer demonstrieren gegen eine demokratische Regierung! Nichts gegen das Demonstrationsrecht, aber genügt nicht die Fronleichnamsprozession? Unterm Hitler hätt's das nicht gegeben. Sicher, der Haider ist manchmal ein bisserl frech gewesen, aber was hat er denn gesagt in Krumpendorf? Er hat die Lebensleistung von Senioren gewürdigt! Er hat's ja gar nicht so gemeint, und immer, wenn er es doch so gemeint hat, hat er sich dafür entschuldigt.

Nun sind wir also wieder die Opfer, verkannt und verfemt, das österreichische Schicksal.
Es gibt nur eine Möglichkeit, wie wir da herauskommen: Europa wird Monarchie mit Sitz in Wien, die Habsburger werden wieder eingesetzt (Karl junior hat schon Korruptions- und EU-Erfahrung), Franz Antel dreht noch ein paar Sissy-Filme, und wenn den anderen 14 das nicht passt, schließen wir sie aus der EU aus. Dann wird es wieder heißen: A.E.I.O.U.: Austria Erit In Orbe Ultima. "Österreich wird auf dem Erdkreis das Höchste sein". Und wehe, wenn jemand "Ultima" mit "das Letzte" übersetzt!

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Drei Thesen zum Religionsunterricht

(1999)

1. RU muss es geben, weil die Schüler ein Recht darauf haben!
RU ist weder der moralische Zeigefinger des Staates, noch die Werbeagentur der Kirche. Unsere Kinder haben Anspruch auf guten RU einfach deswegen, weil das Menschenleben eine religiöse Dimension hat. Von Kindheit an beschäftigen uns Fragen, für die auch das klügste Faktenwissen nicht ausreicht: Warum gibt es mich? Was kommt nach dem Tod? Gibt es Gott? Woher kommt, wohin verschwindet alles? Wie sollen wir leben? Die Erfahrungen hinter solchen Fragen sind der Ursprung von Religion. Die Entfaltung eines Gespürs dafür ist Aufgabe des RU. Ein ehrlicher, behutsamer Umgang mit dieser "Innenseite" der Welt ist für Sensibilität, Denkfähigkeit und Selbstbewusstsein junger Menschen sehr wichtig. Gelingt das, dann braucht der RU dem Kind nichts "einreden" oder gar aufzwingen, sondern man wird im Dialog entdecken, dass alle aus derselben Quelle schöpfen.

2. RU soll in die Tiefe steigen und für die Weite öffnen!
Ausgehend von der Erfahrung des Kindes versucht der RU, den Geheimnissen des Lebens nachzugehen. Nur ein Mensch, der sich selbst in seiner Tiefe annehmen kann, wird den Blick solidarisch öffnen können für die Gemeinschaft mit anderen und die Herrlichkeiten der Schöpfung. Ein Blick auf die Verirrungen religiöser Fanatiker zeigt, dass Religion auch gefährlich sein kann. Die beste Vorbeugung ist eine fundierte religiöse Bildung ohne Denkverbote. Hier hat auch Faktenwissen über Bibel, Kirche, andere Kulturen und Religionen ihren wichtigen Platz. Respekt vor anderen Traditionen und Einsatz für Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden müssen das Ziel sein. Wer selbstkritisch und selbstbewusst die eigene abendländische Herkunft kennt, kann mit Gewinn auch einmal andere Suchwege betreten, ohne einem der zahlreichen Seelenfänger auf den Leim zu gehen.

3. RU als "Oase für die Seele" im Schulalltag!
Erwartungsdruck und Schulstress lasten schwer auf den Kindern. Der RU kann in diesem Umfeld eine "Oase für die Seele" sein, in der es Freiräume gibt für so manches Schüler- oder Klassenproblem, für das sonst zuwenig Zeit ist, für das Spielen, das Träumen und den Humor. "Erlöster sollten sie aussehen", hat der Philosoph und radikale Kirchenkritiker Nietzsche einmal die Christen seiner Zeit bespöttelt. Ich bin überzeugt, dass das Christentum in Sachen Lebensfreude und heitere Gelassenheit inzwischen überzeugender geworden ist. Man soll uns Religionslehrer nicht überfordern, auch wir können nicht ständig gute Laune versprühen. Aber vielen gelingt es ganz gut, glaubwürdig den christlichen Leicht-Sinn in die Klassenzimmer zu bringen. (Das gilt übrigens auch für viele Lehrer, die andere Fächer unterrichten!) In diesem Sinne wünsche ich ein schönes und erfolgreiches Schuljahr!

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Kultstars, Krenn, und nackte Hintern

(1999)

Haben sie es auch schon bemerkt? Die Sprache in unseren Massenzeitungen wird immer religiöser! Die "ganze Woche" druckt das Sonntagsevangelium, "täglich-Alles" stellt auf dem Titelblatt ihre nächstenliebende Haltung zur allgemeinen Bewunderung aus, die "Krone" bringt fromme Erbauungstexte, und sonntags lädt zwischen rassistischen Angriffen gegen die Caritas und Pornoanzeigen unter dem Pseudonym "Christianus" kein Geringerer als Bf. Krenn zur Umkehr ein.
Für gewöhnlich liegt solche Literatur unter meiner Wahrnehmungsschwelle. Seit ihrer Zölibat-Kampagne letzten Herbst aber schaue ich mir die Freistädter "Leute"-Zeitung genauer an, und komme aus dem Staunen nicht heraus: Welch seltsames Gemisch aus bombastischem Stil und Volksschüler-Vokabular, welches Gewimmel von Top-Stars, Super-Hits und Sensationen! Der Informationsgehalt tendiert gegen Null, der Größenwahn gegen Unendlich: jede kleine Heustadelsauferei wird als Jahrhundertevent verkauft. Da steht der unkritische Bericht über Wunderheilungen amerikanischer Sektierer neben dem Heilwasser aus St. Oswald, und keinen stört der Widerspruch. Da finden sich kitschige Weihnachtsgedanken neben der Ankündigung eines Enthüllungsbuches auf nacktem Frauenhintern. Ob Werbung, Politik oder Kultur, alles wird eingemantscht zu einem Brei pubertärer Phrasen, unbelastet von jedem Hintergrundwissen. Unverhohlene Wahlwerbung für den Beschützer der Witwen und Waisen, den Freund schneller Autos und der Waffen-SS darf da natürlich nicht fehlen.
Das "Leute"-Top-Thema des letzten Jahres stellte aber alles in den Schatten: Die Genialität des "ganze Woche"-Journalisten HMP (Name der Redaktion bekannt)! Für ihn reichen nur noch die extremsten Superlative, er schwebt seit mehr als einem Jahr als quasi göttliche Figur über der in Ehrfurcht erstarrenden Leute-Redaktion. Die Penetranz der Verherrlichung seiner künstlerischen Fähigkeiten hätte selbst einem Picasso die Schamesröte ins Gesicht getrieben. Wobei es mir hier - wohlgemerkt - nicht um die Kunst des HMP geht, sondern um die Unerträglichkeit ihrer Vermarktung. Wenn Selbstlob stinkt, müsste St. Oswald seit geraumer Zeit großräumig umfahren werden.
Aber die Methode wirkt! Sie sind alle gekommen zur "Millenniums-Gala": der LH (der angeblich schlecht informiert war), der oben genannte Adabei-Bischof (der sich angeblich die erotischen Fotos eh nicht angeschaut hat), um eine "heilige Segnung" vorzunehmen, der Kaiserenkel, und viele, viele Stars. Pressekontakte kann man immer brauchen, Wahlen sind auch bald, and the show must go on!
Man soll die Gefahr nicht überbewerten. Es gab schon immer schlechte Zeitungen, die sich gut verkauften (K. Kraus: "Je größer der Stiefel, desto größer der Absatz"), und warum soll es nicht auch einfache Unterhaltung und anspruchslosen Klatsch geben? Das Problem beginnt dort, wo Presse nicht mehr informiert, sondern eine eigene Wirklichkeit erzeugt, nicht mehr die Mächtigen kontrolliert, sondern selbst zur Macht aufsteigt.
Wachsamkeit und die Aufdeckung der heuchlerischen Allianz zwischen Kirchenfundis und Rechtspopulisten ist dringend nötig, im Interesse der Demokratie, des Christentums, sowie der guten Journalisten, die es gottlob auch gibt. Das beste Gegenmittel ist Zivilcourage, indem man zum Schwachsinn Schwachsinn sagt, auch wenn er von noch so vielen Sternchen und Weihrauch umgeben ist, und in hoher Auflage daherkommt.

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Vor der Kaserne, vor dem großen Tor ...

(2000)

Da stehe ich nun, und verstehe nicht: Ein großes Plakat mit dem geschwärzten Gesicht eines Soldaten mit Helm. Der schreiende Mund und die aufgerissenen Augen signalisieren Kampf, Einsatzbereitschaft, Action. Dazu folgender Text:

"Gott und den Soldaten betet man an
in Zeiten der Not und der Gefahr.
Ist beides vorüber wird beiden gleich vergolten:
Gott vergessen und der Soldat gescholten."

Ja, ich habe richtig gelesen. So etwas wird im Jahr 1998 plakatiert bei allen österreichischen Kasernen. Es ist keine Reklame für einen Rambofilm, und für einen Restposten des k.u.k.-Kriegsministeriums ist die Bildqualität zu gut. Da haben wir also wirklich wieder "Gott und den Soldaten" in einem Boot! Beide werden angeblich angebetet, aber nach getaner Arbeit schmählich weggeschoben. Gott hat es ja noch gut, er wird bloß vergessen. Aber der arme Soldat wird gar gescholten. Dabei hat er nur seine Pflicht getan. Aber ordentlich und mit vollem Einsatz. Das merkt man am schwarzen Gesicht.
Ich gehe ganz nahe ran. Nein, ein Autor ist nicht angegeben. Ich hätte ihn gerne gefragt, welchen Gott er da meint. Den "Gott, der Eisen wachsen ließ"? Oder den, in dessen Namen man 1914 auf beiden katholischen Seiten der Front Waffen gesegnet hat? Oder gar einen antiken, blutigen Kriegsgott, verkörpert in der Gestalt des absoluten Herrschers? War nicht auch dieser Pontius Pilatus Soldat, der nur seine Pflicht getan hat, als er den gewaltlosen Prediger aus Galiläa beseitigen musste? Das hätte ich gerne gefragt.
Vielleicht sollte man den Militärbischof informieren, denke ich mir. Er kann doch damit nicht einverstanden sein, wie hier Gott missbraucht wird, um Gewalt zu verklären. Oder doch? Ist der Text vielleicht gar mit ihm abgesprochen? Warum gibt es überhaupt Militärbischöfe? "Der Mann im Krieg braucht zweierlei: Verpflegung und Religion", heißt es in einem Hirtenbrief des Linzer Bischofs Gföllner 1917. Sieht man das noch immer so? Warum hat sich unsere Kirche seit Konstantin immer wieder mit Macht und Gewalt solidarisiert? Äußere Hülle Christus, innere Fülle Pilatus? Fragen, viele Fragen.

Ende Mai wird das Plakat nach vielen Wochen durch ein anderes ersetzt: Kampfflieger, Luftraumüberwachung. (Merks, Österreich: Wieder einmal sind Abfangjäger zu kaufen!)
Ich aber sehe immer noch das Gesicht des Kämpfers, dem man einredet, einen göttlichen Auftrag auszuführen. Und dazu den Spruch: "Sie wissen (noch immer) nicht, was sie tun!"

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Kultstars, Krenn, und nackte Hintern

(1999)

Haben sie es auch schon bemerkt? Die Sprache in unseren Massenzeitungen wird immer religiöser! Die "ganze Woche" druckt das Sonntagsevangelium, "täglich-Alles" stellt auf dem Titelblatt ihre nächstenliebende Haltung zur allgemeinen Bewunderung aus, die "Krone" bringt fromme Erbauungstexte, und sonntags lädt zwischen rassistischen Angriffen gegen die Caritas und Pornoanzeigen unter dem Pseudonym "Christianus" kein Geringerer als Bf. Krenn zur Umkehr ein.
Für gewöhnlich liegt solche Literatur unter meiner Wahrnehmungsschwelle. Seit ihrer Zölibat-Kampagne letzten Herbst aber schaue ich mir die Freistädter "Leute"-Zeitung genauer an, und komme aus dem Staunen nicht heraus: Welch seltsames Gemisch aus bombastischem Stil und Volksschüler-Vokabular, welches Gewimmel von Top-Stars, Super-Hits und Sensationen! Der Informationsgehalt tendiert gegen Null, der Größenwahn gegen Unendlich: jede kleine Heustadelsauferei wird als Jahrhundertevent verkauft. Da steht der unkritische Bericht über Wunderheilungen amerikanischer Sektierer neben dem Heilwasser aus St. Oswald, und keinen stört der Widerspruch. Da finden sich kitschige Weihnachtsgedanken neben der Ankündigung eines Enthüllungsbuches auf nacktem Frauenhintern. Ob Werbung, Politik oder Kultur, alles wird eingemantscht zu einem Brei pubertärer Phrasen, unbelastet von jedem Hintergrundwissen. Unverhohlene Wahlwerbung für den Beschützer der Witwen und Waisen, den Freund schneller Autos und der Waffen-SS darf da natürlich nicht fehlen.
Das "Leute"-Top-Thema des letzten Jahres stellte aber alles in den Schatten: Die Genialität des "ganze Woche"-Journalisten HMP (Name der Redaktion bekannt)! Für ihn reichen nur noch die extremsten Superlative, er schwebt seit mehr als einem Jahr als quasi göttliche Figur über der in Ehrfurcht erstarrenden Leute-Redaktion. Die Penetranz der Verherrlichung seiner künstlerischen Fähigkeiten hätte selbst einem Picasso die Schamesröte ins Gesicht getrieben. Wobei es mir hier - wohlgemerkt - nicht um die Kunst des HMP geht, sondern um die Unerträglichkeit ihrer Vermarktung. Wenn Selbstlob stinkt, müsste St. Oswald seit geraumer Zeit großräumig umfahren werden.
Aber die Methode wirkt! Sie sind alle gekommen zur "Millenniums-Gala": der LH (der angeblich schlecht informiert war), der oben genannte Adabei-Bischof (der sich angeblich die erotischen Fotos eh nicht angeschaut hat), um eine "heilige Segnung" vorzunehmen, der Kaiserenkel, und viele, viele Stars. Pressekontakte kann man immer brauchen, Wahlen sind auch bald, and the show must go on!
Man soll die Gefahr nicht überbewerten. Es gab schon immer schlechte Zeitungen, die sich gut verkauften (K. Kraus: "Je größer der Stiefel, desto größer der Absatz"), und warum soll es nicht auch einfache Unterhaltung und anspruchslosen Klatsch geben? Das Problem beginnt dort, wo Presse nicht mehr informiert, sondern eine eigene Wirklichkeit erzeugt, nicht mehr die Mächtigen kontrolliert, sondern selbst zur Macht aufsteigt.
Wachsamkeit und die Aufdeckung der heuchlerischen Allianz zwischen Kirchenfundis und Rechtspopulisten ist dringend nötig, im Interesse der Demokratie, des Christentums, sowie der guten Journalisten, die es gottlob auch gibt. Das beste Gegenmittel ist Zivilcourage, indem man zum Schwachsinn Schwachsinn sagt, auch wenn er von noch so vielen Sternchen und Weihrauch umgeben ist, und in hoher Auflage daherkommt.

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Kirchenkrise? Ja, bitte!

(1998)

Skandale ohne Ende

Alles Irdische ist vergänglich und vorläufig. Wer beansprucht, unfehlbar und vollkommen zu sein, darf sich nicht wundern, wenn ihm die Öffentlichkeit genüsslich jeden Fehler unter die Nase reibt. Für die Kirche scheint das zum Dauerzustand zu werden: Sie kommt aus den Skandalen nicht mehr heraus. Zu deutlich ist die Kluft zwischen dem Anspruch, Zeichen der Liebe Gottes zu sein, und dem starren, lebensfernen römischen Machtsystem. Theologisch zweitrangige Themen wie Zölibat, Sexualmoral oder Gleichstellung der Frau werden verdrängt oder jahrzehntelang zerredet, um dem eigentlichen Problem, der Machtfrage, auszuweichen. Was sollen wir Katholiken tun? Verzweifeln? Durchtauchen? Davonrennen?

Geburtswehen einer neuen Kirche

Ich denke, man kann in diesen Vorgängen, neben manch Ärgerlichem, auch einen verborgenen Sinn entdecken: Die "Geburtswehen einer neuen Form von Kirche". Eine Kirche, die bemerkt, dass ihre Strukturen vom Ideal noch weit entfernt sind, hat nicht nur eine Krise, sondern immerhin auch ein hohes Ideal: Jesus!
Liest man zum Beispiel ein paar Abschnitte der Bergpredigt, wird man zweierlei zugeben müssen: Erstens, dass das stimmt, was da über das Verzeihen, das Teilen, das Niemand-Verurteilen, das Beten oder die Gewaltlosigkeit steht. Zweitens: Dass wir alle nicht danach leben, dass wir als einzelne, aber auch als Kirche weit von den Idealen Jesu entfernt sind.

"Neuer Wein, alte Schläuche"

Jesu Glaube war derart neu und unfassbar, dass ihn auch seine Kirche nicht ganz verstand. Jesu Einstellung zu Frauen und Kindern, zu Benachteiligten und Schwachen war in der damaligen Sklavenhaltergesellschaft wohl noch schwerer zu fassen als heute. Gemeinschaft mit Außenseitern und Verzicht auf alle Feinbilder waren in einer harten, militaristischen Welt unerhört. Es wundert nicht, dass sich bereits in der jungen Kirche alte Herrschaftsformen wieder durchsetzten und Jesu "neuer Wein" auch in "alten Schläuchen" weitergeben wurde. Auch wir müssen zugeben: Jesus ist der Weinstock, wir aber sind (manchmal) die Flaschen!
Wenn jetzt, fast 2000 Jahre später, eine Krise entsteht, weil man zu ahnen beginnt, dass Jesus die Herrschaft von Menschen über Menschen, die Bevormundung der Frauen durch Männer, hartherzige Gesetzesmoral u.a.m. nicht gewollt haben kann, was ist daran so schlimm?

Krise als Chance

"Ecclesia semper reformanda", Kirche muss immer reformiert werden. Spannungen gehören zum Leben, sie machen das Leben spannend. Wenn wir uns bemühen, dabei Jesus nicht aus den Augen zu verlieren, brauchen wir Krisen nicht zu fürchten. "Wir sind Kirche" bedeutet eine Absage an eine gespaltene Kirche, die lange genug herrschsüchtige Hirten und unmündige Schafe hervorgebracht hat, zum seelischen Schaden beider. Kirche als "wanderndes Gottesvolk" kommt gewiss nicht so pompös daher wie das "Haus voll Glorie", ist aber menschlicher und ehrlicher: Hören wir auf mit den Machtspielen. Wir sind fehlerhafte Schwestern und Brüder, weil wir einen gemeinsamen Vater haben.
In diesem Sinne kann ich nur sagen: Kirchenkrise? Ja, bitte!

Wir wollen's nicht
verschweigen, das Grün
bricht aus den Zweigen!

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